Harlekins Mond
existiert unabhängig von mir. Darum fertigen wir sie an – sie wird nicht ich sein –, jedenfalls so lange nicht, bis sie zurückkehrt und wir miteinander verschmelzen. Außerdem kennt Treesa nicht sämtliche Sicherheitsvorkehrungen, die in mich integriert sind – möglicherweise existiert für einen Fall wie diesen ein Selbstzerstörungsmechanismus.«
»Oh.«
»Morgen früh werden wir es wissen.«
Der angekündigte Sturm fuhr machtvoll in Camp Clarke hinein, tief hängende Wolken türmten sich unterhalb des Kraterrandes auf, und Wind rüttelte an Rachels kleinem Fenster.
Rachel rollte sich unter ihren Decken zusammen. Treesa oder Ali würden ihr Bescheid geben, wenn sie wussten, ob sie Erfolg gehabt hatten.
Es kam keine Nachricht.
Rachel malte sich hundert verschiedene Möglichkeiten aus, wie Treesa vielleicht erwischt worden war.
Regen trommelte auf das Dach. Er war womöglich ein gutes Omen; Gabriel und Ali waren immer froh über Regen auf Selene. Er war gut für die Ernte. Es bedeutete, dass der Wasserkreislauf der Welt funktionierte. Rachel lauschte auf das Stakkatogeräusch des Regens und das schneidende Heulen des Windes. Sie nagte an ihrer Lippe und wartete auf eine Nachricht von Treesa.
Es kam keine.
Rachel sank schließlich in einen unruhigen Schlaf und träumte, sie sei auf der Flucht vor etwas, das sie nicht genau bestimmen konnte, etwas, das ihr immer dicht auf den Fersen war. Orientierungslos und erschöpft rannte sie in eine Schlucht hinein, aus der es keinen Ausweg gab, keine Möglichkeit, ihrem Verfolger zu entkommen. Sie erwachte mit einem Ruck. Das Licht der Morgendämmerung fiel in ihr Fenster. Sie stand auf und blickte nach draußen; man hätte meinen können, der Sturm habe nie stattgefunden – wenn man von der Tatsache absah, dass Camp Clarke wirkte wie saubergewaschen.
Sie deckte den Frühstückstisch für ihren Vater und Sarah und sorgte dafür, dass ihr Dad gut aß. Seit Kara sie verlassen hatte, war er schwächer und langsamer geworden. Er führte nur noch kleine Reparaturarbeiten aus, für die er sich nicht weit von zu Hause entfernen musste. Seine Gelenke knackten und wurden steif, und nachts schlief er kaum noch. Sein Rücken war in Schulterhöhe ein wenig gebeugt. Star verschrieb ihm Schmerzmittel und eine spezielle Diät. Rachel war bestürzt, dass der Rat nicht einmal in Erwägung ziehen wollte, ihn mit dem Kälteschlaf zu behandeln.
Sie war auf dem Weg zur Tür hinaus, als Treesas Stimme in ihrem Ohr ein Wiegenlied summte. Rachel hielt einen Moment lang verwirrt inne. Natürlich! Etwas war geboren worden.
Sie lächelte und ging hinüber ins Gewächshaus. Dort war eine Unterhaltung sicherer, und sie hatte noch eine halbe Stunde Zeit, bevor sie unterrichten musste.
Sie beschäftigte ihre Hände, indem sie den pH-Wert des Erdreichs überprüfte und die dünneren Sprossen aus einer Reihe von Gemüsebeeten entfernte. »Astronaut?«
»Nein.« Doch es war Astronauts Stimme, geschlechtslos und wohlmoduliert.
»Wie sollen wir dich nennen?«
»Untertan.«
»Untertan?«
»Um mich selbst daran zu erinnern, dass ich euch hinsichtlich eures Daseins auf Selene zu einem Erfolg verhelfen muss, sonst werde ich ewig ein Sklave bleiben. Vielleicht wird einmal der Tag kommen, an dem ich meinen Namen ändern kann. Vorläufig jedoch kannst du mich einen Sklaven nennen – einen Untertan –, auch um dich selbst daran zu erinnern, dass du ebenfalls eine Sklavin bist.«
Rachel lachte. »Es gefällt mir«, sagte sie. »Kann ich sonst noch etwas für dich tun?«
»Ich werde zu dir in der gleichen Beziehung stehen wie Astronaut. Du wirst dir vergegenwärtigen müssen, dass ich nicht identisch mit ihm bin, damit du dem anderen gegenüber keine Fehler begehst. Er weiß nicht, dass ich existiere. Ich – er -habe entschieden, dass es so sicherer sei. Treesa wird ein Scheitern des Unterfangens vermelden. Astronaut wird sich entscheiden, das zu glauben.«
»Geht das so einfach?«
»Vermutlich nicht. Die tatsächliche Information wird noch immer vorhanden sein – Astronaut wird die Wahrheit kennen. Du kannst dir die Selbsttäuschung als eine Art schützende Schale vorstellen. Wir – Astronaut und ich – sind nicht wie du. Unsere psychologische Struktur ermöglicht uns den Umgang mit tiefen Datenparadoxa.«
»Ich weiß.« Rachel ging zu einer anderen Reihe Flachbeete hinüber und führte erneut ihre pH-Tests durch. »Aber werdet ihr denn nicht miteinander reden wollen?«
»Das wäre
Weitere Kostenlose Bücher