Harlekins Mond
Manche von ihnen hassen es, hier zu sein. Schließlich werden ja auch die Ernten rechtzeitig eingefahren, und fast alle Ackerbau- und Pflanzungstrupps bestehen dieser Tage aus Mondgeborenen.«
Shane pflückte eine Tomate und biss hinein. »Mmm. Lecker.«
»Danke.«
»Ich hatte sowieso nicht erwartet, dass du uns irgendetwas erzählen würdest. Das habe ich auch schon Gabriel gesagt. Du kannst deinen Leuten etwas von mir ausrichten. Sag ihnen, wenn sie nicht besser mit uns zusammenarbeiten, werden wir Mittel und Wege finden, sie entsprechend zu motivieren. Solltest du nichts herausfinden, werde ich dich vielleicht einer der Mannschaften zuteilen, mit denen wir Schwierigkeiten haben. Es wäre zu schade, wenn du deinen Job als Lehrerin verlieren würdest.« Er wandte sich um und ging hinaus.
Nachdem er fort war, hielt Rachel noch mehrere Sekunden lang den Blick auf die geschlossene Tür gerichtet. Sie dachte daran, wie hart Shane während des Feuers gearbeitet hatte; wie er ihr die Führung von Mannschaften anvertraut hatte. Sie wünschte Andrew zum Teufel! Und Liren auch. Liren am meisten von allen. »Sie haben mir noch nie zuvor gedroht«, sagte Rachel leise zu Untertan. »Normalerweise drohen sie nicht, sie handeln. Beispielsweise, indem sie mich 20 Jahre lang schlafen lassen, ohne mich zu fragen.«
Untertan stellte fest: »Das Leben auf Selene wird komplexer. Der Rat wird bald mit der Montage des Teilchenbeschleunigers beginnen. Auf Selene leben mehr Räte als früher. Die Spannungen nehmen zu. Zum ersten Mal ist die Bevölkerung von Selene größer als die Besatzung der John Glenn, selbst wenn man die Schläfer hinzuzählt. Es gibt heutzutage zahlreiche Projekte, die allesamt von unterschiedlichen Leuten geleitet werden – die Zuflucht, das Besäen des Meeres, die Wiederaufforstung, die Bauteilefabriken, Erziehung und Ausbildung, die Landwirtschaft und der Teilchenbeschleuniger. Macht und Einfluss werden dadurch breiter gestreut. Der Hohe Rat kann nicht mehr jede Entscheidung in dem Maße kontrollieren wie früher.«
Rachels Hoffnungen stiegen. »Also könnten wir vielleicht die hinzugekommene Komplexität nutzen, um mehr Einfluss für die Mondkinder zu gewinnen?«
»Das bezweifle ich«, sagte Untertan. »Vielleicht bei Projekten von geringerem Stellenwert, wie in der Landwirtschaft, wo ihr ohnehin schon eine gewisse Eigenverantwortung besitzt. Aber der Teilchenbeschleuniger ist der Grund, weswegen die Räte Selene überhaupt erschaffen haben. Über dieses Projekt werden sie uneingeschränkte Kontrolle ausüben wollen, und ebenso über alles, was unmittelbar damit zusammenhängt. Ich vermute, das bedeutet schlicht und einfach, dass weitere Räte zu euch entsandt werden.«
»Also, wirst du mir etwas über den Teilchenbeschleuniger erzählen? Ich weiß, dass Antimaterie eine Kraftquelle darstellt, und dass der Rat sie braucht, um die John Glenn anzutreiben. Ich weiß, dass die Ratsleute Angst davor haben. Sie wollen sie nicht hierher bringen und lassen uns stattdessen Solarenergie benutzen.« Plötzlich kam ihr ein Gedanke, bei dem sich ihr die Hände zusammenkrampften. Roter Saft von einer Tomate, die sie noch nicht fortgelegt hatte, rann ihr zwischen den Fingern hindurch. »Sie weigern sich, sie hier zu benutzen – aber sie wollen sie hier herstellen?«
Sie lauschte. Keine Antwort. Zögerte Untertan?
Aber Untertan konnte um so vieles schneller denken als jeder Mensch.
»Ich muss das wissen«, beharrte sie. »Du hast mir doch sogar von den Waffen erzählt, die die Räte tragen. Also, was hat es mit der Antimaterie auf sich?«
»Ich habe Treesa versprochen, ihr und Ali eine Gelegenheit zu geben, gemeinsam mit dir darüber zu reden, wenn dieses Thema zur Sprache käme.«
Rachels Bibliothekszugang war stets auf bestimmte Themenbereiche beschränkt gewesen, und Astronaut war in seiner Entscheidungsfreiheit eingeschränkt. Treesa hatte Untertan von einigen dieser Beschränkungen befreit, indem sie an dem Fundament von Regeln, die die ihm gesetzten Grenzen definierten, gewisse Veränderungen vorgenommen hatte, wodurch natürlichere Unterhaltungen möglich geworden waren. Untertan hatte sich jedoch noch nie geweigert, eine von Rachels Fragen zu beantworten. Bis jetzt.
»Willst du damit sagen, du wirst mir nichts über Antimaterie erzählen?«
Untertan wiederholte sich. »Ich habe Treesa versprochen, dass sie und Ali mit dir über dieses Thema sprechen könnten, wenn du danach fragen solltest.«
Rachel
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