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Harold - Einzlkind: Harold

Harold - Einzlkind: Harold

Titel: Harold - Einzlkind: Harold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Einzlkind
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dass sie nun schon zum wiederholten Male die gleiche Gegend befahren, in die gleichen Straßen abbiegen und die beiden immergleichen Rentner auf der Parkbank sehen, die ihnen, aus welchen Gründen auch immer, zuwinken.
    »Verheiratet, zwei Kinder, Julie und David, sieben und zehn Jahre alt. Seine Frau, Carolyn, ist 35, er selbst 44. Er ist ein angesehener Anwalt, hat in Harvard Jura studiert und arbeitet für die Kanzlei Gleeson und Sandstein. Sein Jahreseinkommen dürfte bei 160.000 Pfund liegen. Er fährt einen Jaguar XJ6 Sovereign und trägt überwiegend maßgeschneiderte Anzüge von Ermenegildo Zegna.« Melvin blickt von seinen Unterlagen auf, starrt aus dem Fenster, auf die Straße, die Häuser, die Vorgärten, die Gegend, die vielleicht die Seine gewesen wäre, in der er seine Kindheit verbracht hätte, und bei dem Gedanken zuckt er kurz zusammen, denn die blitzblanken sauberen Fassaden der Straßen irritieren ihn, diese klinische, fast leblose Umgebung, in der selbst die Mülltonnen im matten Sonnenlicht das Abendrot reflektieren, als seien sie ein episches Meisterwerk der Symmetrie. Hätte er sich hier wohl gefühlt? Warum nicht.
    92, 90, 88, 86, 84, 82, 80, 78, 76, die Hausnummern fliegen vorbei und dann, zwischen all den ordnungsgemäß schlummernden Automobilien für Familien, alternde Männer, einsame Frauen, rebellierende Söhne und verlobte Töchter: eine Parklücke.
    »Halt ...« Harold bremst, als hätte er soeben ein Rehkitz überfahren, woraufhin Melvin ihn vorwurfsvoll anstarrt, da sein vorsichtig eingelutschtes Karamellbonbon nun an der Windschutzscheibe klebt und einen sehr unvorteilhaften Eindruck hinterlässt.
    »Es muss hier irgendwo sein, eine der nächsten beiden Einbahnstraßen, wir gehen den Rest zu Fuß. Wir parken hier.«
    Rückwärts? Auf dem Rastplatz hatte es schon vorwärts keinen Grund zur Euphorie gegeben und wäre der Besitzer des Fiat Unos nicht sturztrunken gewesen, hätte er durchaus auf Totalschaden plädieren können. Harold legt den Rückwärtsgang ein, dreht seinen Kopf über die Schulter und misst den Abstand zwischen der Heckstange und dem grauen Bentley, wobei er auf pimaldaumen vier Meter 50 kommt.
    Der durch fehlerhafte Schätzung hervorgerufene Knall durch etwas im Wege Stehenden hat den Vorteil, dass der Motor abwürgt und nach vornehin die Sorgen unbegründet sind. Melvin und Harold steigen aus, schauen sich den Kotflügel des Bentleys an und entscheiden stillschweigend und einvernehmlich auf Bagatellschaden.
    Melvin übernimmt die Führung und entschließt sich für die erste Querstraße links, die keinen Namen trägt, in der aber gerade ein Polizist entlangflaniert, der nicht den Eindruck hinterlässt, als sei er auf Verbrecherjagd, was ihm zugute kommt, da er als außergewöhnlich korpulentes Exemplar seiner Gattung zu Fuß absolut chancenlos wäre, wenn der potenzielle Delinquent auf der Flucht nicht mindestens infolge einer Querschnittslähmung an einen Rollstuhl gefesselt wäre.
    »Sir, entschuldigen Sie, könnten Sie uns sagen, wie wir zur Lord Wotton Street Nummer 21 gelangen?«
    Der Polizist starrt Melvin an. »In England?«
    Melvin legt die Arme überkreuz. »Hallo, ist das irgendein Fernfahrer-Code? Und müssen Eingeweihte mindestens 150 Kilo wiegen? Natürlich in England.«
    »Nimmst du Drogen, Junge?«
    »Nun machen Sie aber mal einen Punkt, mein lieber Bobby.«
    »Wie bitte?«
    Der Polizist beugt sich sanft hinunter und variiert seine ausdrucksstarke Mimik in beeindruckender Weise. Je nach Betrachtungswinkel signalisiert sie a) Freundlichkeit, b) die Ungewissheit, ob nicht in jeder Uniform auch ein manisch-depressiver Metzger stecken könnte, c) den gut gemeinten Rat, dies nicht herausfinden zu wollen. Harold tendiert schweren Herzens zur Sichtweise zwei und drei, da der Polizist seinen neuen Gesichtsausdruck atemlos einfriert und keinerlei Regung zeigt. So, als sei er gerade versteinert worden, was aber, selbst nach Harolds Dafürhalten, relativ unwahrscheinlich ist. Immerhin aber lässt sich nicht mehr gänzlich ausschließen, einem absolut professionellen Psychopathen gegenüberzustehen. Und wann hat man das schon mal?
    »Officer?«
    Keine Regung.
    »Chief-Inspector?«
    Keine Regung.
    »General?«
    Keine Regung.
    »Premierminister?«
    Keine Regung.
    »Gott?«
    Ein fragiles Lächeln. »Geht doch. Das hier ist die Lord Wotton Street Nummer 17, folglich findet sich die Hausnummer 21 zwei Häuser weiter vorne.«
    Gott scheint kein weiteres Interesse an

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