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Harold - Einzlkind: Harold

Harold - Einzlkind: Harold

Titel: Harold - Einzlkind: Harold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Einzlkind
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Veranlassung, sich an dem Spiel zu beteiligen, gleichwohl er selbstverständlich jede Note und jede Zeile eines jeden Stückes vom ersten Ton an kennt und auswendig zu paraphrasieren weiß. Und nachdem die illustre Gesellschaft sich auch am Wirtschaftsquartett verlustiert und die Weinanbaugebiete Osteuropas alphabetisch nach ihren Winzerfamilien sortiert hat, sind nun endlich alle ein wenig zur Besinnung gekommen und der Vater-Sohn-Tag floriert zu einem gemütlichen Beisammensein, indem sich die Gesellschaft auf die ausladenden Sofas und Sessel verteilt.
    Die Väter genießen kubanisches Rauchwerk vom sozialistischen Erbfeind Fidel, die Söhne stöbern in dem auf kleinen Silbertellern feilgebotenen Naschzeug und im Hintergrund plingplingt in angenehmer Lautstärke moderner Jazz. Harold und Melvin teilen sich ein Sofa in direkter Nachbarschaft zu Jeremiah und David Newsom und lauschen beiläufig der wohlfeinen Konversation.
    »Ich habe gestern den neuen Beichtvater von Tony Blair getroffen«, sagt Fred Gillespie und fügt nach einer kleinen Künstlerpause hinzu: »Er hat jetzt eine 80-Stunden-Woche.« Allseits Gelächter, nur Melvin rümpft abwesend seine Nase, und auch Harold kann nicht ganz folgen, da es Komplikationen mit seiner Zigarre gibt, die seine erste überhaupt ist und die in nebligen Schwaden sein Gesicht umwölkt und die Sauerstoffzufuhr lebensgefährlich einschränkt.
    »Habe ich eigentlich schon erzählt, dass meine Großcousine 1956 in Las Vegas zur Miss Atombombe gekürt wurde«, witzelt Brian Krieger und erntet schwer verdientes Geschmunzel von allen Seiten, nur Melvins Miene wird immer düsterer, er hat nicht das Gefühl, als habe seine Gutmütigkeit in all den Jahren je größere Last zu tragen gehabt.
    »Wie wäre es mit einem kleinen Cognac?«, fragt Jeremiah Newsom und deutet mit seiner Hand auf einen kleinen Nebentisch, auf dem eine leicht angestaubte Flasche und fünf schwenkbare Gläser thronen. »Ein Hennessy No. 1.«
    »Wunderbar«, sagt Fred Gillespie.
    »Großartig«, sagt Martin Dahoney, und auch Brian Krieger nickt einvernehmlich.
    »Rupert?«, fragt Jeremiah Newsom.
    Keine Reaktion. Melvin stupst Harold unauffällig auffällig in die Magengegend.
    »Entschuldigen Sie, mein Vater ist mit seinen Gedanken wohl wieder bei den Quarks und Leptonen. Er nimmt sehr gerne auch ein Glas. Mr. Newsom, darf ich ...«
    »Jeremiah. Wir haben heute unseren Vater-Sohn-Tag.«
    »Jeremiah, darf ich Ihnen eine persönliche Frage stellen?«
    »Nur zu.«
    »Seit wann sind sie verheiratet.«
    »Nun, nächsten Monat, am 23., um genau zu sein, sind es auf den Tag genau 14 Jahre. Und ich kann guten Gewissens behaupten, nicht eine Sekunde davon jemals bereut zu haben. Abgesehen vielleicht von dem einen oder anderen Besuch der verehrten Schwiegereltern.« Allgemeines Gelächter, Jeremiah Newsom zählt in der Gemeinde als unübertroffener Charmeur und gewiefter Humorist.
    »Haben Sie Ihre Frau in dieser Zeit jemals betrogen, sagen wir vor ungefähr elf Jahren, zehn Monaten und drei Tagen?«
    Stille. Urplötzlich. Wie aus dem Nichts. Harold überlegt, ob Melvin bisweilen die Feinheiten der Diplomatie mißachtet, und nippt vorsichtig an dem Cognac, der seine Geschmacksnerven wie ein Fön in einer voll gelaufenen Badewanne trifft.
    »Ich verstehe nicht ganz.«
    »Für intelligente Menschen ist das Zeitalter, in dem wir leben, ein sehr, sehr schweres. Waren Sie jemals schwach in all den Jahren, war Ihr Dionysos stärker als Ihr Apollon, haben Ihre Hormone in einem unbedachten Moment den Sieg über die Metaphysik der Sitten errungen, haben Sie auswärtig der Kopulation gefrönt, ohne sich der möglichen Konsequenzen bewusst gewesen zu sein?«
    Wieder Stille. Neugierige Blicke.
    »Ich verstehe nach wie vor nicht ganz.«
    »Sagt Ihnen der Name Denise Bentham etwas?«
    »Nein.«
    »Denken Sie ruhig noch einmal nach.«
    »Nicht nötig.«
    Jeremiah Newsom nimmt eine aufrechte Haltung ein, die vortrefflich das Ungemütliche zu porträtieren vermag. In einem Kriminalroman wäre die Stimmung jetzt als eisig zu bezeichnen, und hätte Harold einen Schal und eine Wollmütze zur Hand, hätte er sie ohne Frage angezogen.
    »Absolut sicher?«
    »Absolut.«
    Melvin starrt Jeremiah Newsom fest in die Augen und findet nicht das geringste Anzeichen für eine Lüge. Kein Schweiß auf der Stirn, keine zittrigen Hände, nicht einmal ein unbedachtes Augenzwinkern.
    »Könnte es sein, dass wir es hier nicht mit Rupert und Nicolas Livingston

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