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Harold - Einzlkind: Harold

Harold - Einzlkind: Harold

Titel: Harold - Einzlkind: Harold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Einzlkind
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Ihr Sohn bin.«
    Sohn? Jeremiah Al-Kasim wirkt zum ersten Mal ein wenig verunsichert. Ein Sohn? Ein leibhaftiger Sohn? Trotz der Oligospermie? Ein Sohn? Allah sei Dank!
    »Sohn!«
    »Vater!«
    »Sohn!«
    »Vater!«
    37
    Jeremiah Al-Kasim legt großen Wert auf die gründliche Reinigung des Körpers. In den Genuss seiner hauseigenen Sauna kommen in der Regel nur engste Verwandte oder ganz besondere Freunde. Für ihn ist es ein Ort der Besinnung, des Austausches und des näheren Kennenlernens. Und aus diesem Grund wird Melvin und Harold die Ehre erwiesen, im gemeinsamen Hinausschwitzen bar der Unreinheit bessere Menschen zu werden. Für Melvin kein Grund zur überschäumenden Glückseligkeit, aber auch kein Anlass in Trübsal zu fallen. Ein wenig überraschend ist für ihn nur die Tatsache, dass die Sauna weniger dem traditionellen Hamam ähnelt als vielmehr den Schwitzkästen westeuropäischer Kleinbürger in holzvertäfelter Gemütlichkeit.
    Harold indes ist ob der Gunst mit einem um die Hüfte gebundenen Leinentuch auf harter Bank zu schwitzen von tiefster Tragik beseelt. Seit jeher ist er etwas gschamig, wenn es um die öffentliche Zurschaustellung des kaum verhüllten Körpers geht. Das ureigenste Privatime bedarf in seinen Augen nicht der ungeteilten Aufmerksamkeit fremden Lebens. Er erschrickt sich selbst bisweilen, wenn er nach dem Baden aus der Wanne steigt und im Vorbeigehen seines zum Übergewicht neigenden und rosig schimmernden Körpers im Spiegel gewahr wird. Saunend macht sein Körper eine noch weit unglücklichere Figur, die einst lockigen Brusthaare kleben tropfend auf nasser Haut, die nunmehr roher Kalbsbrust ähnelt. Die feuchtheißen Schwaden der nach Teer duftenden Luft führen die Atmung an den brüchigen Rand der Existenz. Von 130 Grad Celsius ist die Rede, aber Harold hat bei jedem erneuten Übergießen der Steine das Gefühl, als sei das Fegefeuer im Vergleich ein wohl temperierter Naherholungsort.
    Für den Aufguss ist Ali zuständig, der sich erstaunlich behände um das Wohlergehen der Insassen kümmert. Mit einem blutroten Handtuch verteilt er den Wasserdampf großzügig in alle Richtungen und wenn dies zu genüge erreicht ist, peitscht er mit der aus Birkenzweigen zusammengebundenen Vasta auf die Saunenden mit der ihm angeborenen Wucht ein. Ali scheint aus unerfindlichen Gründen Gefallen daran zu finden, insbesondere Harold zu flagellieren, der, mit jedem Schlag der Ohnmacht nah, ein wenig tiefer in sich selbst versinkt. Um die Schmerzen zu ertragen, ihnen zu entfliehen, bleibt nur der Weg, das Luftschloss zu erklimmen, in dem gedeckte Apfeltorte auf den Märtyrer wartet, mit Rosinen, groß wie Tennisbälle.
    »Ist es nicht herrlich?«, fragt Jeremiah Al-Kasim in die fröhliche Runde hinein.
    »Herrlich«, antwortet Melvin mit der Gleichmut einer Milchkuh. Gedanklich aber weilt er eine Etage höher, da ist noch etwas, das zu entwirren ist, bevor es dem Vergessen anheim fällt. »Schuldet Ihnen der Mann oben auf dem Stuhl Geld?«
    »Ja.«
    »Was wird mit ihm passieren?«
    »Ali wird sich um die Entsorgung kümmern.«
    Entsorgung? Melvin ist nicht ganz sicher, was damit gemeint ist. Geht es um das traditionelle Einzementieren oder um den fachgerechten Umgang mit einer Drahtschlinge? Ist Ali das arabische Alter Ego zu Luca Brasi? Und welche Rolle spielt Jeremiah Al-Kasim in diesem Unternehmen? Melvin entscheidet sich für die direkte Konfrontation: »Haben Sie schon einmal einen Menschen getötet?«
    Stille. Ali hat aufgehört zu peitschen und Jeremiah Al-Kasim blickt finster in die Ferne. In diesen Kreisen gibt es anscheinend Fragen, die besser nicht gestellt werden.
    »Ein einziges Mal«, sagt Jeremiah Al-Kasim betont ruhig, und zum ersten Mal wirken seine feurigen Augen kalt wie Schokoladeneis.
    »Und warum?«
    Ali fängt wieder an zu peitschen.
    »Es ging um meine Schwester. Eine Angelegenheit der Ehre.«
    Harold verschluckt sich an der imaginären Apfeltorte, Melvin ist neugierig. »Sie haben Ihre Schwester getötet?«
    »Nein. Den Mann, der mir sagte, ich solle meine Schwester töten, weil sie durch ihre Kleidung und ihr Verhalten die Ehre der Familie verletze. Zu seiner Verteidigung muss ich gestehen, dass er nicht wissen konnte, dass meine Auffassung von Ehre sich gänzlich von der seinen unterscheidet.«
    »Inwiefern?«
    »Ehre ist, die eigene Familie zu verteidigen und nicht das Gewäsch der Leute. Er hat das erst sehr spät eingesehen. Aber ich habe ihm nicht geglaubt.«
    »Wie

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