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Harold - Einzlkind: Harold

Harold - Einzlkind: Harold

Titel: Harold - Einzlkind: Harold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Einzlkind
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Ali, der vermeintliche Butler, erwacht aus seiner Starre und befördert Harold und Melvin mit dem sanften Schwung einer ukrainischen Kugelstoßerin in den Raum hinein. Er schließt das Schiebefenster, zieht die Vorhänge wieder etwas näher zusammen und lässt Harold nicht aus den Augen, so, als ob er ihn für einen gut getarnten Auftragskiller hält, was Harold unter anderen Umständen durchaus als Kompliment erachten würde. Im Innern sieht der Raum noch mächtiger aus, mindestens achtzig Quadratmeter groß, in der linken Hälfte eine großzügige Sitzecke aus dunklem Büffelleder, ein in Naturstein gekachelter Kamin, der mit kleiner Flamme knistert, und schräg gegenüber ein kubisches Bücherregal, beladen mit ungelesenen Gesamtausgaben verstorbener Dichter und Denker. Nicht weit davon entfernt: der Mann auf dem Stuhl. Der Mann auf dem Stuhl schwitzt. Melvin hat noch nie einen Menschen so schwitzen sehen. Harold auch nicht. Sein Gesicht ist krebsrot, der Knebel in seinem Mund erschwert das Atmen, er schielt die ganze Zeit auf seine linke gefesselte Hand, an der der kleine Finger fehlt. Dieser weilt indes auf dem arabischen Läufer, der ein so interessantes Muster hat, dass Harold seinen Blick nicht mehr davon abwenden kann. Der Zauber geometrischer Linien lässt die Realität in weite Ferne entschwinden und ermöglicht das Hineinversinken in eine Welt voller Wattebäusche. Ein Handtelefon klingelt. Melvin greift in seine rechte Jackentasche, er holt das Übel hervor und beendet Schönbergs Moses und Aron mit einem leichten Tastendruck.
    »Hallo Ma ... Mir geht’s gut ... Ja, Harold ist nach wie vor ein ausgezeichneter Babysitter ... Natürlich ... Mmh ... Kürbissuppe ... Nein ... Nichts Besonderes ... Bei Freunden ... Schön ... Mmh ... Ma, ich muss jetzt Schluss machen ... Ja, mache ich ... Tschüss.« Melvin drückt auf eine Taste und verstaut das Telefon wieder in seine Jackentasche. Er versucht das unschuldige Lächeln eines Elfjährigen zu zaubern, aber es fällt ihm schwerer als gedacht, er hat keine Übung in der leicht debilen Aura seiner Generation, die mit dem ersten Testosteronschub jegliche Gehirnzellen verliert.
    »Sehr schönes Mobiliar«, versucht Melvin das Gespräch wieder in Gang zu bringen und spinkst neugierig in das Halbdunkel hinein, indem der mutmaßliche Jeremiah Al-Kasim im Nikotinnebel nur als Schemen zu erkennen ist.
    »Danke«, sagt die tiefe Stimme.
    »Ist das ein Chlorophytum comosum in der wundervollen chinesischen Vase?«
    »Ja.«
    »Eine Augenweide.«
    »Danke.«
    Der Mann auf dem Stuhl unterbricht die angeregte Unterhaltung, indem er seine erstickten Laute mit einem unangenehm lauten Trampeln auf den glänzend polierten Parkett untermalt. Ihn weiterhin zu ignorieren ist kaum mehr möglich
    »Besteht die Möglichkeit, dass die Person auf dem Stuhl in Folge einer Sauerstoffunterversorgung kollabiert?«
    »Ich denke nicht.«
    »Es sieht nur so aus, als ob er etwas mitteilen möchte.«
    »Ali.«
    Ali, der seit geraumer Zeit die Regung einer Standuhr imitiert, setzt seinen klobigen Körper mechanisch in Bewegung, geht zu dem knisternden Kamin, nimmt ein gusseisernes Geschirr mit breiter Pfanne aus dem drahtigen Korb, stellt sich vor den Mann auf dem Stuhl, fixiert seinen linken Fuß und holt behände aus.
    Melvin ist überrascht, mit welcher Lautstärke menschliche Fußknöchel zu bersten in der Lage sind. Harold hat gar nichts gehört, und wenn er etwas gehört haben sollte, dann hat er sich verhört, denn eigentlich hört er nicht sehr gut, er ist im Grunde taub, völlig. Der zweite Mann tritt aus dem Halbschatten heraus.
    »Wir haben nach wie vor nicht klären können, welch glücklicher Fügung wir diesen Besuch zu verdanken haben.«
    Melvin beschließt, ohne weiteres Geplänkel direkt zum Thema zu kommen.
    »Könnte es sein, dass sie mütterlicherseits den Namen Newsom tragen?«
    Jeremiah Al-Kasim hebt seine linke Augenbraue an, für Ali, den Butler, ein untrügliches Zeichen bevorstehender Arbeit. »Könnte sein.«
    »Könnte es sein, dass Sie vor zwölf Jahren in London eine Liaison mit einer gewissen Denise Bentham hatten?«
    Jeremiah Al-Kasim denkt nach. Er war tatsächlich vor zwölf Jahren für einige Monate geschäftlich in London unterwegs. Der Name Denise Bentham sagt ihm spontan nichts, aber auch die Namen der anderen 71 Jungfrauen, mit denen er vorab schon probeweise techtelmechtelte, sind ihm nicht mehr geläufig. »Könnte sein.«
    »Dann könnte es sein, dass ich

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