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Harold - Einzlkind: Harold

Harold - Einzlkind: Harold

Titel: Harold - Einzlkind: Harold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Einzlkind
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haben Sie ihn umgebracht?« Harold überlegt, ob es unhöflich wäre, nach einem Kopfhörer zu fragen.
    »Oh, das war gar nicht so einfach. Ich hatte an jenem Tag der Aussprache aus unerklärlichen Gründen keine Waffen dabei. Da ich aber schon mit 19 Jahren von recht kräftiger Statur war, schlug ich solange mit der Faust in sein Gesicht, bis ich mir alle Fingerknöchel gebrochen hatte. Das war dann auch der Zeitpunkt, in dem er einsah, dass ich Recht hatte. Aber wie schon gesagt, ich konnte es nicht glauben. Ich hegte den Verdacht, er fühle sich zu dieser Aussage gezwungen. Denn unter gewissen Umständen redet der Mensch bisweilen leichtfertig daher, ohne nachzudenken. Ich wollte da lieber auf Nummer Sicher gehen. Doch auch nachdem ich mir alle Fingerknöchel der linken Hand gebrochen hatte und er, wie ich meinte heraushören zu können, noch einmal betonte, dass ich Recht habe, kamen mir Zweifel. Ich wusste nur nicht, wie ich diese noch zum Ausdruck bringen konnte. Wie so oft im Leben, spielte der Zufall eine entscheidende Rolle. In der Ecke der kleinen Gasse lag ein zirka fünfzig Zentimeter langes Holzscheit und, nicht genug des Zufalls, steckten an einem der Enden zwei rostige Nägel. Ich war dann sehr überzeugend, meine Argumente in all ihren Facetten zu erläutern.«
    »Die normative Kraft des Faktischen.«
    »Wie auch immer. Um noch einmal auf die Vater-Sohn-Sache zurückzukommen. Ich möchte in dieser Angelegenheit absolute Gewissheit haben und hoffe, dass mein Ansinnen nicht verletzend wirkt.«
    »Keineswegs. Welches Ansinnen?«
    »Wir werden einen Gentest machen.«
    »Sofort?«
    »Gleich. Ali, noch einen Aufguss.«
    Harold erlischt.
    38
    Willkommen im 22. Jahrhundert. Die dezent angebrachte Zeitangabe in Augenhöhe des Empfangs wirkt keineswegs überzogen. Eine Klinik sieht anders aus, eine Praxis auch. Das strahlende Weiß der Wände, der Böden und der Einrichtung strapaziert das überirdische Ambiente an die Grenzen des Existenzialismus. Die Augen schmerzen, sie suchen einen Fixpunkt, eine Farbe, eine Orientierung. An den Wänden hängt Kunst, Fotografien von Schnee, verschwommen, überbelichtet, akademisch, toll. Chorale Frauenstimmen in höchsten Tonlagen wabern hintergründig von monotoner Gleichmut. Beruhigung allerorten, die beunruhigend den Geist in helle Aufruhr versetzt. Der jüngste Tag wird offenbart. Klinisch totes Leben im freien Willen der Evolution. Und Morgen? Morgen mögen die Engel endlich fliegen und die Menschen für immer verstummen. Melvin erschrickt. Ein Lebewesen. Wo es herkommt, ist unergründlich. Doch wichtig ist es nicht, warum auch, es ist da, und das ist alles, was zählt. In weiß gekleidet, wie auch sonst, die langen blonden Haare streng nach hinten gezopft, die hohen Wangenknochen ein Ebenmaß der Anmut und die blauen Augen ein kristallener See ohne Grund. Von weit her muss sie gekommen sein, aus dem Lebensborn entsprungen, ein arisches Meisterwerk, vollkommen und für ewig unerreicht.
    »Wie kann ich Ihnen helfen?«, fragt die Elfe.
    »Wir möchten einen Gentest machen«, antwortet Jeremiah Al-Kasim, dem die gleißende Helligkeit nichts ausmacht, er trägt eine Sonnenbrille.
    »Sie haben einen Termin?«
    Jeremiah Al-Kasim blickt auf das in Brusthöhe weilende Namensschild. »Schwester Elanore, Sie sehen nicht nur ganz bezaubernd aus, ich bin auch überzeugt davon, dass Sie ein besonders kluges Mädchen sind und sich daher nicht vorstellen können, dass wir aus heiterem Himmel hier hereinspazieren, ohne einen Termin zu haben.«
    »Bei Dr. Wagner?«, fragt Schwester Elanore nach, deren Wangen nun ein wenig erröten.
    »Genau, bei Dr. Wagner.«
    »Sein Büro ist den Gang entlang, die dritte Tür rechts.« Schwester Elanore taucht kurz hinter dem Empfangstisch ab, und als sie wieder auftaucht, hält sie etwas in ihren Händen, eine weiße Kugel, in durchsichtiges Zellophan gewickelt, die sie wie einen verloren geglaubten Schatz präsentiert. Sie beugt sich zu Melvin hinunter und fragt: »Möchtest du ein Bonbon, junger Mann?«
    Melvin ist kurzweilig konsterniert ob der anmutigen Geste, die im heiligen Schein von großer Güte zeugt, bis sein Verstand wieder einsetzt. »Nein, danke. Aber würden Sie mir einen Gefallen erweisen?«
    »Gerne.«
    »Wenn Gott anruft, sagen Sie ihm, ich sei nicht da.«
    Melvin dreht sich um und geht den Gang entlang. Die anderen folgen. An der dritten Tür rechts bleiben sie stehen. Auf einem weißen Schild mit weißer hervorgehobener Schrift

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