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Harold - Einzlkind: Harold

Harold - Einzlkind: Harold

Titel: Harold - Einzlkind: Harold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Einzlkind
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meckerte, klang es wie Gesang. Doch eines Tages befiel sie ein heimtückisches Fieber, sie trank und aß nicht mehr, sie stand nicht einmal mehr auf, als habe sie mit dem Leben abgeschlossen. Nach zwei Tagen nahm der Hirte die Ziege in seine Arme und wanderte mit ihr den ganzen weiten Weg bis ins nächste Dorf. Schon ohne Ziege auf dem Arm war es für einen ausgewachsenen Mann in guter körperlicher Verfassung eine Tagesreise. Als der Hirte am nächsten Morgen das Dorf erreichte, machte er sich ohne Rast zu einem allseits bekannten Arzt auf, der, wie ihm ein freundlicher Passant mitteilte, der Vermählungsfeier seiner einzigen Tochter beiwohnte. Der Hirte begab sich mit der Ziege auf dem Arm zur Festivität, entschuldigte die ungebührliche Störung und bat den Arzt mit allem Respekt und vollendeter Höflichkeit einen Blick auf seine Ziege zu werfen und sie möglichst schnell zu heilen. Der Arzt aber sagte, er solle verschwinden, und zwar auf der Stelle, sonst hole er seine Söhne, die nicht so zurückhaltend wären. Was, mein lieber Dr. Wagner, glauben Sie, hat der Hirte getan?«
    »Er ist gegangen?«, fragt Dr. Wagner nach und in seiner Stimme schwingt Hoffnung mit, gleich kindlicher Naivität.
    »Richtig«, sagt Jeremiah Al-Kasim, während seine linke Hand beiläufig das gerahmte Foto auf dem Fensterbrett ergreift, auf dem eine wunderschöne Frau und zwei wunderschöne Kinder dezent überbelichtet in erhabener Anmut lächeln. »Doch noch bevor er ging, machte er der Tochter des Arztes seine Aufwartung und schnitt ihr mit seinem besten und nur zum Schächten vorgesehenen Messer die Kehle durch.«
    Dr. Wagner denkt. Er könnte nachfragen, ob an die sterilen Vorkehrungen gedacht wurde, ob der Schnitt fachmännisch sauber ausgeführt wurde oder welchen Lauf die Blutfontäne nahm. Aber tief in seinem Innern spürt er, dass seine Kinder ihm mehr bedeuten, als er je gedacht hatte, dass er selbst seine Frau mehr oder minder für schwer austauschbar hält. »Ich denke, wir können da mal eine Ausnahme machen.«
    »Das ist ja wunderbar, aber nur, wenn es keine Umstände bereitet.«
    »Kein Problem, ich helfe gerne.«
    »Wenn dem so ist«, mischt Melvin sich ein, »dann nehmen wir auch noch die 200 Gramm von der ungarischen Salami.«
    39
    Ihr Bauch wellt und wabert wie ein wild gewordener Ozean, ihre Brüste, die von einem knappen, glitzernd grünen BH notdürftig verdeckt werden, schlonkern furios im Takt zur folkloristischen Musik, und ihr Hintern wackelt, als hätten sich tatsächlich Hummeln in ihm verirrt. Die Menschen klatschen besinnungslos Beifall, feuern sie mit gutturalen Lauten an und stecken Geldscheine in den klimpernden Rocksaum. Ein Schmaus für die Augen, zweifelsohne, Harold aber blickt lieber auf das Schlachtfest, das sie hinterlassen haben, auf die tausend kleinen Teller, die vor nicht allzu langer Zeit die wundersamsten Köstlichkeiten beherbergten, von denen nur noch schmierige Reste kümmerliches Zeugnis ablegen. Pürierte Kichererbsen in Sesamöl, Zitronensaft und Knoblauch angemacht, gerollte Weinblätter mit Reis, Tomaten, Zwiebeln und Petersilie gefüllt, Frischkäsecreme mit gepresstem Knoblauch und frischer Pfefferminze, gegrillte Auberginen und Paprikaschoten, gekochter Löwenzahn, mit gerösteten Zwiebeln und Zitronensaft verfeinert, in Weizenschrot geschwenkte Rindfleischbällchen, auf Holzkohle gegrilltes Lammfleisch am Spieß, fein geschnittener Rinderschinken im pikanten Würzmantel und zum Abschluss kleine süße Gebäckstücke, die im Zahnschmelz klebrige Wunden schlagen.
    Zum ersten Mal seit Anbeginn ihrer Reise fühlt Harold sich beinahe wohl, nie zuvor war er in einem libanesischen Restaurant zu Gast, ein Fehler, gewiss, und selbst Melvin hatte zugeschlagen wie ein ganzes Flüchtlingslager, gleichwohl er laufend betonte, welch untragbare Sünden er als Frutarier mit jedem Bissen beging. Die zuvorkommende Bedienung und der servile Geschäftsführer tragen zum allgemeinen Wohlbefinden bei, der beste Platz auf der Empore ist natürlich eine Selbstverständlichkeit, um den kleinen Wasserfall in der Mitte des Raumes gebührend zu bewundern. Das gemeine Fußvolk muss Parterre speisen. Jeden Moment müsste der Bote mit den Ergebnissen kommen, die zwei Stunden sind fast rum, und was auch immer ihn aufzuhalten gedenkt, es sollte sich besser warm anziehen, und zwar sehr warm. Doch dann marschiert ein Mann mit vier Bodyguards auf die Empore zu, und als sie den Tisch schließlich erreichen,

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