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Harold - Einzlkind: Harold

Harold - Einzlkind: Harold

Titel: Harold - Einzlkind: Harold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Einzlkind
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springen Ali und Jeremiah Al-Kasim gleichzeitig auf, als seien sie wettkämpfende Ballerinas, die der Synchronität ihr Leben opfern. Geschäfte? Bandenkrieg? Schießerei? Tote auf beiden Seiten? Melvin ist nicht sicher. Ali, der erstaunlicherweise sprechen kann und dessen Stimme wie eine Katze klingt, die ein Haarknäuel erbricht, krächzt eine knappe Begrüßung. Er wirkt angespannt und selbst in Jeremiah Al-Kasims Augen meint Melvin so etwas wie Beunruhigung zu entdecken. Die Männer aber küssen sich auf die Wangen, sie umarmen sich wie die letzten Gorillas im Nebel und blicken sich an, als würde es kein Morgen geben. Sie sind laut wie ein Jahrmarkt, Harold versteht nur Yalla, und nachdem sie alle Rituale erfolgreich bestanden haben, schweift der Blick des Mannes zu Melvin. Jeremiah Al-Kasim reagiert sofort: »Mein Sohn.«
    »Dein Sohn?«
    »Mein Sohn.«
    »Allahu Akbar.«
    Der Mann drückt Melvin eine 100-Pfund-Note in die Hand, streichelt ihm beiläufig über den Haarschopf, und als er lächelt, blinkt und strahlt der schönste jemals von Menschenhand erschaffene Goldzahn, der magisch alle Blicke anzieht. Harold fröstelt.
    Der Mann dreht sich wieder um und seine Augen frieren ein, dunkel und melancholisch, als wäre jedwedes Licht erloschen. »Ich möchte dich morgen Abend zum Essen einladen. Wir haben einiges zu besprechen.«
    »Gerne.«
    »Assalamu aleikum.«
    »Wa aleikum salam.«
    Auch zum Abschied wird wieder ausgiebig geküsst, der Mann und die vier Bodyguards steigen die Empore hinab, der Geschäftsführer, offensichtlich ein Opportunist, bücklingt noch tiefer als zuvor und als sie endlich die Tür erreicht haben, scheinen alle Anwesenden irgendwie erleichtert.
    »Wer war das?«, will Melvin wissen.
    »Adolf Hitler.«
    »Adolf Hitler?«
    »Youssuf Nadir. Offiziell.«
    »Warum nennen Sie ihn dann Adolf Hitler?«
    »Es macht ihn menschlicher.«
    Harold ist froh, dass Melvin nicht näher nachfragt, das Kichererbsenmus soll von nun an seiner Träume Nahrung sein und fortan alles Ungemach vertreiben. Die Bedienung räumt die letzten Teller ab und serviert Tee in kleinen Gläsern, der riecht, als habe man ihn tausend und eine Nacht lang ziehen lassen.
    »Jeremiah Al-Kasim«, ruft eine Stimme von weit her.
    »Jeremiah Al-Kasim?« Die Stimme kommt näher.
    »Jeremiah Al-Kasim?«
    »Ja?«
    Es ist der Bote. Seine Haare sind lang und verfilzt, in seinen Augenbrauen, seiner Nase und seiner Unterlippe glitzern silberne Ringe, er trägt eng anliegende Leggins unter einer Radlerhose, die seine drahtigen Beine furchtbar zur Geltung bringen. Sein Walkie Talkie knarzt knurrende Störgeräusche in die Welt, seine Augen wirbeln unruhig hin und her, er wirkt ungeduldig, als sei die Zeit keine Frage des Geldes, sondern des Überlebens.
    »Ich habe einen Umschlag für Sie. Wenn Sie hier unten bitte unterschreiben würden.«
    Ali reicht geschwind einen gelbgoldenen mit Diamanten besetzten Montblanc Royal, mit dem die Unterschrift einem barocken Kunstwerk gleicht. Der Bote geht wieder seines Weges und Jeremiah Al-Kasim hält den Umschlag in seinen Händen, als enthalte er die Antwort auf die letzte Frage nach dem Warum des Seins. Melvin kaut an seinem linken Daumennagel und stiert in eine ungewisse Zukunft. Wenn Jeremiah Al-Kasim tatsächlich sein Vater ist, dann wäre er ein Viertel-Araber, ein irritierender Gedanke, wenngleich seine dunklen Haare und seine sich nach unten krümmende Nase endlich ihre Legende hätten. Aber welche Verpflichtungen würden diese verwandtschaftlichen Verhältnisse nach sich ziehen? Ist Melvin dann der junge Vito Corleone, der eines Tages die Ehre der Familie zu verteidigen hat? Werden schwergewichtige Männer mit vernarbten Gesichtern seinen Ring küssen und ihn Don Melvin nennen? Wird er, um in dieser maskulinen Welt den nötigen Respekt zu erhaschen, eigenhändig Menschen um die eine oder andere Ecke bringen müssen? Und wird man darauf bestehen, dass er schlecht sitzende Nadelstreifenanzüge trägt?
    Jeremiah Al-Kasim öffnet den Umschlag mit der Geschwindigkeit einer toten Schnecke.
    Er liest.
    Er atmet tief durch.
    Er blickt auf.
    In seinen Augen schwimmt Trauer.
    »Allah ist allmächtig.« Er schließt die Augen. Er öffnet sie wieder. »Ihr könnt selbstverständlich in meinem Haus übernachten.«
    »Oh, das ist sehr großzügig«, sagt Melvin, der fast ein wenig enttäuscht ist, »aber wir müssen noch unsere Nachtfähre nach Irland erreichen.«
    Nachtfähre?
    Irland?
    40
    Die Kabine ist

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