Harold Shea 03 - Die Stählerne Festung
kenne eine bessere Geschichte.«
»Kennst du nicht! Der fette Mann war ein gekrönter König, und er der Bruder von meiner Mutti...«
Ein erhabener Mond ging auf und strahlte durch das Blattwerk. Während Shea sein Gedächtnis und das Rolands nach Einzelheiten der Biographie des Paladins durchforschte, sank der Mond zum Horizont hinab. Einmal glaubte er schon, den Faden verloren zu haben, als Roland den Namen Angelica erwähnte, den Kopf auf die Knie legte und mehr als fünf Minuten lang weinte; ein andermal glaubte er an den entscheidenden Durchbruch, als er den Namen des Riesen Ferragus nannte und der Paladin einen Knochen vom Tisch ergriff, aufsprang und schrie:
»Montjoie!« Doch dann brabbelte er nur unverständlich vor sich hin. Es muß schon längst nach Mitternacht gewesen sein, als Roland erneut aufstand und beide Handflächen gegen seine Augen drückte.
»Sir«, sagte er, »ich weiß Euren richtigen Namen und Euren Stand nicht, und mir ist verwehrt, Euch den Friedenskuß zu geben, da meine derzeitige Verfassung einem Ritter und Edelmann nicht geziemt. Ihr habt meine Gunst. Seid Ihr ein Geisterbeschwörer?«
»Ich kenne mich in der Magie ein wenig aus«, sagte Shea und verspürte plötzlich ein Gefühl großer Bescheidenheit.
»Eure Buße wird gewiß gering sein. Vermute ich richtig, daß Mitglieder unserer Bruderschaft in der Nähe sind?«
Er blickte in die Richtung, in der der Mond seinen Kampf verlor. »Wir wollen sie suchen. Jetzt sehe ich klar; wir müssen Reittiere suchen und uns aufmachen, denn die Zeit drängt. Ist die Lady Bradamant unter Ihnen?«
9
Lady Bradamant war nicht in der Hütte des Häuptlings, wo Herzog Astolph und Reinald, Strohpfropfen in den Ohren, sich ausgestreckt hatten. Reinald lag auf dem Rücken und schnarchte wie ein Dieselmotor. Was für Shea wichtiger war: auch Belphegor war nicht dort. Er spürte Enttäuschung, aber Graf Roland war offensichtlich ganz anders gestimmt.
»Ho!« schrie der Paladin mit einer Lautstärke, die die Fensterscheiben zum Klirren gebracht hätte, wenn Fensterscheiben da gewesen wären. »Wollt ihr Langschläfer euch ausstrecken, wenn es Taten zu verrichten gibt? Auf mit euch, sage ich!«
In der dunklen Hütte sah Shea Astolph sich auf die Seite rollen. Reinaids Schnarchen verstummte einen Moment lang und setzte sich dann in höherer Tonlage fort.
»Ha? Auf!« schrie Roland erneut und versetzte der liegenden Gestalt einen kräftigen Tritt, während Astolph bereits vor ihnen stand. Schnell wie eine Katze fuhr Reinald hoch, das Messer blitzte in seiner Hand auf, aber Roland lachte und streckte beide Arme aus. »Nein, nein, mein edler Fürst und wackerer Freund, willst du mir die Kehle aufschlitzen, während die heidnische Gefahr immer noch vor Frankreichs Toren lauert?«
Brummend entspannte Reinald sich. Astolph warf einen Ast auf das ersterbende Feuer und schaute Roland im Licht der aufzüngelnden Flamme scharf an. »Ich glaube, er ist wieder in Ordnung«, stellte er fest.
»Gewiß, mein Waffengefährte; dank dieses jungen Ritters.« Roland drehte sich zu Shea um. »Sir Harold, hätte ich nicht das Gelübde der Armut abgelegt, wären die Schätze Babylons zu klein als Belohnung für Euch. Doch wißt, daß mein Herz und meine Hilfe Euch gewiß sind, solange es nicht meinem Treueeid gegenüber Kaiser Karl zuwiderläuft. Ich habe den Ring. Und nun, Edelmänner, müssen wir uns aufmachen.« Er legte den Kopf zur Seite. »Horcht, ich höre die schrille Trompete.«
»Dann wird der Trompeter länger als der Bär gewacht haben«, meinte Reinald trocken. »Seht doch, Roland, die Verfolgung Rogers kommt durch einen Nachtmarsch nicht weiter. Schließlich haben wir Astolph, der ihm am Tag auf den Schwingen des Winds folgen kann. Legt Euch zur Ruhe. Mit dem Morgengrauen suchen wir unser Glück.«
»Er hat recht«, sagte der Herzog gähnend. »Außerdem würde ich sagen, Ihr könntet ein Bad und ein paar Waffen brauchen, bevor Ihr ans Werk geht, und heute nacht gibt es wenig Gelegenheit .. .« Er unterbrach sich und blickte über Sheas Schulter hinaus. Dieser fuhr herum und sah in dem niedrigen Eingang Belphegor, den Pfeil auf der Sehne; das flackernde Feuer warf anmutige Schatten auf ihr Gesicht.
Sie trat einige Schritte in die Hütte. »Ich hörte den Aufruhr und dachte . . .«
Reinald unterbrach sie: »Daß es etwas gab, was Euch schließlich doch noch erlaubte, Behaglichkeit in meinen Armen zu suchen?«
»Nein, mein Lord, ich schlafe allein
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