Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Harper Connelly 01 - Grabesstimmen-neu-ok-10.12.11

Harper Connelly 01 - Grabesstimmen-neu-ok-10.12.11

Titel: Harper Connelly 01 - Grabesstimmen-neu-ok-10.12.11 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlaine Harris
Vom Netzwerk:
plötzlich noch jünger aussah, als sie
es ohnehin schon war.
    Ich fluchte
innerlich und wünschte mir, dass Sybil fünf Minuten vorher gekommen wäre. Ich
überlegte sogar kurz, Nell durch Tollivers Zimmer hinauszuschmuggeln, aber
dabei würde man uns garantiert erwischen. Außerdem hatten wir schließlich
nichts verbrochen. Ich öffnete die Tür, und Sybil schwebte herein wie eine sehr
gut gekleidete Rachegöttin.
    »Ist meine
Tochter hier?«, fragte sie, obwohl wir keinen Versuch unternahmen, Nell zu
verstecken, die direkt vor ihr saß. Sie schien die ganze Szene im Vorfeld
geprobt zu haben.
    »Da sitzt
sie«, sagte Tolliver sanft, wenn auch eine Spur zynisch. Sybil errötete, was
sich mit ihrem sorgfältig aufgetragenen Make-up in Rosa- und Beigetönen biss.
    Als Sybil
sah, dass Nell unverletzt und mit einer Diet Coke im Sessel saß, schien sie
sich wieder abzuregen. »Wo bist du nur gewesen, junge Dame?«, fragte sie und
hatte sich sofort wieder in der Gewalt. »Du hättest vor zwei Stunden zu Hause
sein sollen.«
    Zu unserer
Erleichterung beschloss Nell, mit der Wahrheit herauszurücken. »Ich bin ihnen
gefolgt. Sie haben bei Flo und Jo zu Mittag gegessen«, erzählte das Mädchen
ihrer Mutter. »Sie haben sich Zeit gelassen. Ich bin ihnen hierher gefolgt und
habe sie gefragt, ob ich reinkommen darf.«
    »Du bist bei
strömendem Regen von diesem Lokal bis hierher gefahren? Bei den glatten Straßen
und der schlechten Sicht?« Sybil Teague erbleichte noch mehr. »Gut, dass ich
nichts davon gewusst habe.«
    »Mom, ich
bin schon oft bei Regen gefahren.«
    »Oh ja, in
den zwei Jahren, wo du überhaupt einen Führerschein hast. Du hast doch kaum
Erfahrung ...« Sybil atmete tief durch und versuchte sich zu entspannen. »Na
gut, Neil, ich weiß, dass du wissen willst, was mit deinem Bruder passiert ist.
Das wollte ich weiß Gott auch gern wissen. Und ich habe geglaubt, diese Frau
könnte mir eine Antwort darauf geben. Aber jetzt habe ich nur noch mehr Fragen
als vorher.«
    »Diese Frau«
hätte am liebsten genervt die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen. »Diese
Frau« konnte es gar nicht leiden, wenn man von ihr sprach, als sei sie gar
nicht da.
    Paul Edwards
tauchte hinter Sybil im Türrahmen auf. Seine Haare waren vom Regen fast
schwarz. Er legte die Hand auf Sybils Schulter, wahrscheinlich, um sie weiter
in den Raum zu schieben, damit auch er Schutz vor dem Regen suchen konnte. Ich
hätte es gut gefunden, wenn sie die Tür geschlossen hätten, da ein scharfer
Wind hereinpfiff. Sybil machte widerwillig einen Schritt nach vorn, aber seine
Hand blieb auf ihrer Schulter liegen.
    Zum ersten
Mal bemerkte ich, dass ihre Beziehung unter Umständen weit über die zwischen
einem Anwalt und seiner Mandantin übliche hinausging. Bei den Lebenden bin ich
wesentlich begriffsstutziger als bei den Toten.
    Neils
Gesicht wurde sofort ganz verschlossen, als sie Paul Edwards erblickte. Alles
Kindliche war im Nu daraus verschwunden. Plötzlich sah sie mit ihrem
übertriebenen Make-up und den engen Kleidern wie eine Nutte aus statt wie ein
niedlicher Teenager, der vieles erst noch ausprobieren muss.
    »Hallo, Miss
Connelly, Mr Lang«, sagte Edwards. Er konzentrierte sich auf Nell. »Ich bin
froh, dass wir dich gefunden haben, junge Dame.«
    Ich fragte
mich, ob Edwards wohl mit Sybil Teagues verstorbenem Mann verwandt war. Seine
Ohren hatten dieselbe Form wie die von Nell, die ansonsten mehr nach ihrer
Mutter kam.
    »Gut«, sagte
Nell mit völlig ausdrucksloser Stimme. »Danke, dass Sie nach mir Ausschau
gehalten haben, Mr Edwards.« Ihr Zynismus war mit Händen zu greifen.
    »Deine
Mutter hat auch so schon genug Sorgen, Nell«, sagte er mit so viel sanftem
Vorwurf in der Stimme, dass es beinahe unerträglich war. Ich bezweifelte nicht,
dass Sybil Teague sehr unter dem Tod ihres Sohnes gelitten hatte, aber ich war
mir ziemlich sicher, dass ihn auch Dells jüngere Schwester sehr vermisste. Wenn
Tolliver auch nur das Geringste zustoßen würde... Ich wollte mir das gar nicht
erst vorstellen. Im Moment hätte ich lieber die Todesursachen sämtlicher
Leichen auf einem Friedhof ermittelt, als in diesem Zimmer zu sein.
    »Dann auf
Wiedersehen!«, sagte ich und machte eine Geste in Richtung Tür. Ich weiß, dass
es sich für eine gute Gastgeberin nicht gehört, ihre Gäste so
hinauszukomplimentieren. Aber das war mein Zimmer, und hier konnte ich mich
benehmen, wie ich wollte. Alle wirkten erstaunt bis auf Tolliver, der
unmerklich grinste.

Weitere Kostenlose Bücher