Harper Connelly 01 - Grabesstimmen-neu-ok-10.12.11
widerlicher Kerl dieser McCluskey
ist?« Tolliver wiederholte sich. Er hatte eindeutig getrunken. »Er hat
beschlossen, dass ich dein Bodyguard bin. Er wollte wissen, wie ich es aushalte,
in deiner Nähe zu sein, wo du doch eindeutig vom Teufel gezeichnet bist.«
»Ach ja? Und
ich dachte, ich hätte ordentlich geduscht.«
»Du musst
ein paar Satansmale hinter den Ohren vergessen haben.«
»Tut mir
leid.«
»Seiner
Meinung nach ist es eine große Sünde, Kontakt zu den Toten aufzunehmen oder sie
auch nur sehen zu können. Und jeder, der behauptet, das zu können...«
»Lass mich
raten - ist ein durch und durch verderbter Mensch?«
»Wie bist du
bloß darauf gekommen? Erstaunlich, genau das hat er gesagt.«
»Ich hab
einfach nur geraten.«
»Wie dem
auch sei.« Tolliver gähnte. »Das mit den Jungs heute Morgen hat er auch
mitgekriegt. Er findet zwar, dass junge Männer Frauen nicht bedrohen sollten,
aber dass dir ein kleiner Schrecken eingejagt wurde, gefiel ihm durchaus.«
»Prima, das
freut mich zu hören.«
»Ich hab ihm
klargemacht, dass ich das ganz anders sehe.« Plötzlich wurde Tolliver wieder
ernst. »Ich hab ihm gesagt, dass ich mich, wenn das noch mal passiert,
gezwungen sehe, von meiner Spezialausbildung Gebrauch zu machen.«
»Was denn
für eine Spezialausbildung?«
»Na, die, in
der besonders böse und tödliche Bodyguards ausgebildet werden.«
»Ach die.«
»Genau.
Irgendwie hat er mir die Geschichte abgenommen und meinte, so etwas würde
bestimmt nicht mehr in Sarne passieren, da sich Sheriff Branscom sehr darüber
geärgert hätte, dass du bedroht wurdest.«
»Das ist
schön zu wissen.«
»Das finde
ich auch. Meinst du, du kannst heute Abend unbesorgt ausgehen?«
Ich sah von
meinen Fingernägeln auf und starrte Tolliver an.
»Ich will
dich nicht aufhalten«, sagte er hastig. »Zieh nur los mit deinem Freund und
Helfer, wenn du willst. Ich sage nur, dass das hier eine sehr
fundamentalistische Gemeinde ist, die nichts von deinen Fähigkeiten hält.«
Ich schwieg
und nahm mir Tollivers Rat durchaus zu Herzen. Doch dann hörte ich mich sagen:
»Für dich ist es okay, wegzubleiben und eine flotte Nummer zu schieben, während
du das Auto waschen lässt, und ich darf nicht mal ein Gospelkonzert besuchen?«
Tolliver
wurde rot. »Ich will nur nicht, dass dir irgendetwas zustößt«, sagte er ernst.
»Du weißt ja, was in West Virginia passiert ist.«
In West
Virginia hatten sämtliche Einwohner eines winzigen Dorfes Steine gegen unser
Auto geschleudert.
»Das weiß
ich sehr wohl. Aber das war ein viel kleinerer Ort mit einem Anführer, der mich
nicht ausstehen konnte.«
»Und du
meinst, in Sarne ist das anders?«
Ich nickte.
»Vielleicht
hast du recht«, sagte er nach einer langen Pause. »Aber ich hasse die
Vorstellung, dir könnte irgendetwas ...« Er verstummte.
»Ich habe
auch keine Lust, Opfer irgendeines Anschlags zu werden«, sagte ich nach einer
kurzen Pause. »Wirklich nicht. Aber ich möchte mich auch nicht in diesem
Motelzimmer vergraben.«
»Und du
willst Hollis wiedersehen.«
»Ja.«
Er wandte
den Blick ab. »Gut.« Er zwang sich zu nicken. »Ein Tapetenwechsel wird dir
guttun. Amüsier dich.« Damit ging er auf sein Zimmer. Nun hatte er mir gar
nicht erzählt, was McCluskey über Jay gesagt hatte, aber vielleicht waren sie
so weit gar nicht mehr gekommen.
Ich wollte
auf keinen Fall zu schick aussehen und dadurch auffallen, fand es aber auch
nicht respektvoll, mich allzu leger anzuziehen. Ich überlegte lange, was man zu
einem Freiluftgospelkonzert so trägt. Ich entschied mich für eine relativ
neutrale Kombination, eine anständige Hose, ein Twinset und Slipper. Als mich
Hollis abholte, griff ich nach meiner wärmeren Jacke. Hollis trug neue Jeans
und ein Cordhemd - aus dem weichsten Feincord, den ich je gesehen habe. Auch er
hatte eine Jacke an und Cowboystiefel, was mich überraschte.
»Schöne
Schuhe«, sagte ich.
Er sah an
sich herab, als sehe er die Stiefel zum ersten Mal. »Ich bin mal ein bisschen
geritten«, sagte er. »Sie sind mir irgendwie ans Herz gewachsen.«
Er wollte
wissen, wie ich mich nach dem Vorfall am Vormittag fühlte, und ich sagte, es
gehe mir gut. Das war zwar nicht ganz ehrlich, aber auch nicht gelogen. In
Wahrheit wollte ich einfach nicht mehr daran denken.
Um den
Rathausplatz herum parkten jede Menge Autos, und die hübschen Laternen, die man
für die Touristen aufgestellt hatte, ließen das Viertel wohlhabend und
malerisch wirken.
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