Harper Connelly 01 - Grabesstimmen-neu-ok-10.12.11
ein, einverstanden? Dann sehen wir uns um halb sieben bei
dir im Motel.« Sein Funkgerät quäkte, und er stand hastig auf, räumte sein Tablett
weg und verabschiedete sich. Als er die Glastür aufdrückte, sprach er in sein
Funkgerät.
Tolliver kam
zurück und schwenkte übertrieben die Arme. »Ich hasse diese Gebläse«, sagte er.
»Ich will Papierhandtücher.« Ich hatte ihn schon mindestens dreihundertmal über
das Gebläse klagen hören und sah ihn entnervt an.
»Dann
trockne dir die Hände halt an der Jeans ab«, sagte ich.
»Und, hast
du dich wieder mit deinem Liebhaber verabredet?«
»Ach halt
doch den Mund«, sagte ich gereizt. »Ja, das habe ich.«
»Vielleicht
überredet er ja seinen Chef, uns hierzubehalten, damit er dich noch ein paarmal
sehen kann.«
Tolliver
klang so ernst, dass er mich beinahe verunsichert hätte, wäre da nicht
plötzlich dieses Grinsen auf seinem Gesicht erschienen. Ich gab ihm einen sanften
Klaps, stand auf und hängte mir meine Handtasche über die Schulter. »Mistkerl«,
sagte ich lächelnd.
»Ihr schaut
euch also an, wie die Bürgersteige hochgeklappt werden?«
»Nein, wir
gehen auf ein Gospelkonzert vor dem Gerichtsgebäude.« Als Tolliver die Brauen
hob, sagte ich ernst: »Es ist das letzte der Saison.« Er lachte laut auf.
Ich schämte
mich ehrlich gesagt selbst ein bisschen und sagte auf der Rückfahrt zum Motel:
»Er ist ein netter Kerl, Tolliver. Ich mag ihn.«
»Ich weiß«,
sagte er. »Das weiß ich doch.«
9
Zurück im
Motel überlegten wir, wie wir Vernon McCluskey ansprechen könnten. Ich
lackierte mir derweil die Fingernägel in einem tiefen Braunton, und Tolliver
löste ein Kreuzworträtsel aus der Sonntagsausgabe der ›New York Times‹. Jetzt wusste
ich, was ich Tolliver zu Weihnachten schenken würde: ein Buch mit dem
hebräischen Alphabet. Das hebräische Alphabet kommt in jedem Kreuzworträtsel
vor, das behauptete Tolliver jedenfalls, und er hatte keine Ahnung davon. Ich
könnte ihm auch noch einen Weltatlas schenken. Wenn dann nach einem »Fluss in
Sibirien« gefragt wurde, konnte er verdammt noch mal selber nachschauen, statt
mich ständig zu fragen.
»Warum
sollen wir überhaupt mit diesem Arschloch reden?«, fragte mich Tolliver. »Er
hat schließlich keinen Hehl daraus gemacht, dass er uns hier nicht haben will.
Müssen wir wirklich wissen, wie Helens Beziehung zu ihrem Exmann war? Warum
entspannen wir uns nicht einfach, bis uns der Sheriff weiterziehen lässt? Wie
lang kann er uns überhaupt noch hierbehalten? Ich würde sagen, nicht mehr sehr
lange. Ein Anruf bei einem Anwalt, und wir sind weg.«
Ich sah
Tolliver an, während mein Nagellackpinsel über dem kleinen Finger innehielt.
»Wir wollen hier doch nicht als Verdächtige in Erinnerung bleiben, die man nur
ziehen ließ, weil man ihnen nichts nachweisen konnte, oder? Du weißt doch, wie
wir arbeiten! Die Leute werden Branscom anrufen, um herauszufinden, wie wir
unseren Job erledigt haben. Sie werden fragen, wie gut wir kooperiert haben.
Deshalb müssen wir den Leuten hier klarmachen, dass wir den Fall ernst nehmen,
dass wir die Morde genauso gern aufklären wollen wie sie. Dass wir Anteil an
ihrem Schicksal nehmen.«
»Und, tun
wir das?« Er warf seinen Stift auf das Kreuzworträtsel. »Du anscheinend schon.«
Ich zögerte,
überrascht von dem anklagenden Ton in seiner Stimme. »Stört dich das?«
»Kommt ganz
darauf an.«
»Irgendwie
mochte ich Helen Hopkins«, sagte ich vorsichtig. »Deshalb regt es mich in der
Tat auf, dass ihr jemand den Schädel eingeschlagen hat. Und es macht mir auch
etwas aus, dass zwei junge Leute erschossen wurden. Dass sie da draußen im Wald
ums Leben gekommen sind und dass die Leute denken, er hätte sie umgebracht und
dann Selbstmord begangen. Obwohl es nicht so war.«
»Glaubst du,
sie wollen wirklich, dass wir ihnen bei den Ermittlungen helfen?«
»Wer,
›sie‹?«
»Die Toten.«
Ich spürte,
wie eine Lichtkugel hinter meinen Augen explodierte. »Nein«, sagte ich. »Kein
bisschen. Tote sind tot, und niemand weiß das besser als ich. Die Toten wollen
gar nichts von mir. Helen Hopkins vielleicht schon, aber jetzt ist sie erlöst.«
»Du
empfindest also keinerlei Verpflichtung ihnen gegenüber?«
Ich polierte
meinen kleinen Fingernagel. »Nö. Wir haben getan, wofür man uns bezahlt hat.
Die Vorstellung, dass der Mörder davonkommen könnte, gefällt mir zwar ganz und
gar nicht. Andererseits bin ich keine Polizistin.« Den letzten Satz
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