Harper Connelly 01 - Grabesstimmen-neu-ok-10.12.11
polierten Oberflächen an ihr blendeten. »Dürften wir
diese Artikel ausdrucken?«, fragte ich so charmant wie möglich.
»Klar, für
fünfundzwanzig Cent pro Seite«, sagte sie. Ich war anscheinend doch nicht
charmant genug gewesen. »Wir verdienen nichts daran, das sind nur die Unkosten
für die Tintenpatronen.« Das konnte ich verstehen, und so versuchte ich
freundlich zu bleiben, während der Drucker langsam die von mir angegebenen
Seiten ausspuckte.
Dinah Trout
bat uns überschwänglich, jederzeit wiederzukommen, wenn wir noch etwas
brauchten, was ich für wenig wahrscheinlich hielt. Sie trug einen Ehering, also
würde Tolliver sie nicht um eine Verabredung bitten, obwohl sie ihm eindeutig
Interesse signalisiert hatte.
Als Dinah
merkte, dass wir drauf und dran waren, aufzubrechen, überlegte sie sich schnell
noch ein paar Fragen, denen wir so höflich wie möglich auswichen. »Die Frauen
aus den Ozarks sind ziemlich willensstark«, sagte ich leise zu Tolliver, der
düster nickte.
Die
unaufdringlichste Frau, mit der ich mich an diesem Tag unterhielt, war Sybil
Teague, die sehr viel Mühe auf ihr Äußeres verwendet hatte. Sie trug einen Rock
sowie ein rot-weißes Twinset und sah wirklich gut darin aus. War sie die Art
Mutter, die das Zimmer ihres verstorbenen Kindes ausräumt, oder ließ sie es so,
wie es war, als eine Art Gedenkstätte? Ich hätte gedacht, dass sie es
ausgeräumt hatte, aber da täuschte ich mich. Als ich unter dem Vorwand, auf die
Toilette zu müssen, vor dem Mittagessen in Dells Zimmer huschte, sah ich, dass
es ordentlicher und sauberer war, als es ein Teenager normalerweise
hinterlassen würde. Die Kleider des toten Jungen hingen noch im Schrank, und
auf seinem Computertisch stand ein gerahmtes Foto von Teenie. Dass Sybil es
dort gelassen hatte, machte sie mir gleich sympathischer.
Es war nicht
ganz einfach gewesen, einen Rundgang durchs Haus zu bekommen, aber zum Glück
war Sybil selbstverliebt genug, um meine übertriebene Bewunderung für bare
Münze zu nehmen. Sobald ich Interesse daran gezeigt hatte, bekamen Tolliver und
ich den Rundgang, ohne dass Sybil versuchte, sich mit Bemerkungen wie »Es ist
gerade nicht aufgeräumt« oder »Bitte entschuldigen Sie die Unordnung« darum zu
drücken. Das Haus war perfekt aufgeräumt. Sogar Mary Neils Zimmer war
blitzblank - nirgendwo lagen Kleider auf dem Boden, und das Bett war auch
gemacht. Das Bad war geschrubbt, an den Haken hingen frische Handtücher. Sollte
Mary Neil einen Jungen aus Sarne heiraten, würde er sich ganz schön anstrengen
müssen.
Natürlich
gab es eine Putzfrau, der diese Sauberkeit und Ordnung zu verdanken war. Es
handelte sich um eine hagere, ältere Frau in einem ausgeleierten Strickpulli
und ebensolchen Leggins. Sybil stellte sie uns gar nicht erst vor, aber als wir
durch die Küche gingen, sah uns die Frau neugierig an. Als ich aus den
verschiedenen Fenstern mehrfach einen Blick in den Garten warf, entdeckte ich
einen Mann, der am anderen Ende des Grundstücks Laub zusammenrechte und
anschließend verbrannte. Ich konnte ihn nicht genau erkennen, so weit weg lag
der hinterste Zaun. Das hier war ein richtiges Herrenhaus, zumindest für Sarner
Verhältnisse.
Ich fragte
mich erneut, wie Sybil es wohl aufgenommen hatte, dass sich Dell ausgerechnet
für ein Mädchen aus der Unterschicht interessierte. Nachdem ich ihr Haus
gesehen hatte, wusste ich, dass an ihren Beteuerungen, sie hätte Teenie als
potenzielle Schwiegertochter akzeptiert, nichts Wahres dran war. Ich fragte
mich, wie weit sie wohl gegangen wäre, um zu verhindern, dass Dell in dieser
Beziehung feststeckte, weil er seine Freundin geschwängert hatte; denn genau so
würde Sybil das sehen. Doch egal, welche Rolle sie beim Tod von Teenie Hopkins
gespielt haben mochte - ihren Sohn Dell hatte Sybil eindeutig geliebt.
Als wir um
den Esstisch saßen, kam Mary Nell nach Hause. Sie sauste herein und rief: »Mom?
Mom? Sieh nur, mein Rock!« Als sie uns entdeckte, lief Mary Nell rot an. Ob es
an Tolliver lag oder ob sie sich schämte, mir in die Augen zu sehen, nachdem
ihr Verehrer versucht hatte, mich aus der Stadt zu jagen, weiß ich nicht.
Vielleicht war es beides.
»Mary Nell,
warum bist du eigentlich schon zu Hause?«, fragte Sybil sichtlich überrascht.
»Die blöde
Heather hat ihr blödes Getränk über meinen Rock geschüttet«, sagte Mary Nell
nach kurzem Schweigen. Sie streckte ihr Bein, um uns den Fleck auf ihrem
Jeansrock zu zeigen. »Ich habe Mrs
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