Harper Connelly 01 - Grabesstimmen-neu-ok-10.12.11
hatten wir es eindeutig mit anstrengenden Frauen zu tun.
Aus reinem
Selbstschutz wechselte ich mich mit Tolliver am Computer ab. Wer gerade nicht
recherchierte, hatte die Aufgabe, die extrem neugierige Miss Trout abzulenken.
Miss Trout schien noch nichts über meine ungewöhnliche Karriere gehört zu
haben, wofür ich äußerst dankbar war.
Nach etwa
einer Stunde hatten wir so gut wie jeden Artikel über den Tod von Dell Teague,
das Verschwinden von Teenie Hopkins und den »tragischen Unfall« von Sally
Hopkins Boxleitner gelesen. Die Fotos der Hopkins-Schwestern faszinierten mich,
es war fast ein Schock, sie lebend zu sehen. Die vielen Fotos in Helens
Wohnzimmer hatten mich damals dermaßen überwältigt, dass ich gar nicht dazu
gekommen war, mir die darauf Porträtierten richtig anzusehen.
Die
Schwestern sahen sich kein bisschen ähnlich. Hollis' Frau hatte einen hellen
Teint, rotblondes Haar und Sommersprossen gehabt. Sie hatte ein breites
Gesicht, breite Schultern und wirkte sehr sympathisch. Ich konnte keine zweite
Botschaft in ihrem Blick entdecken, auch ihre Haltung ließ nicht darauf
schließen, dass sie irgendetwas belastete. Nichts wies darauf hin, dass sie mit
ihrem Tod rechnete. Ich entdeckte ihr Hochzeitsbild, und es war merkwürdig,
einen so viel jüngeren Hollis zu sehen, der sie mit Hochzeitstorte fütterte.
Dann gab es da noch ein Foto, das sie als Wal-Mart-Angestellte zeigte, wo sie
die Babyabteilung geleitet hatte.
Ihre jüngere
Schwester Teenie war auf einem Schulfoto zu sehen, die wohl traurigste Beigabe
zu einer Todesanzeige. Sie hatte sich für diesen Anlass ein wenig zu sehr
zurechtgemacht. Ihr dunkles dickes Haar umrahmte ihr Gesicht. Sie ähnelte ihrer
Mutter und besaß auch ihre zierliche Statur, außerdem hatte sie eine spitze,
absolut gerade Nase. Es war schwer, allein aufgrund des Fotos irgendetwas über
ihren Charakter zu sagen. Natürlich lächelte sie, aber das betraf nur ihren
Mund. Echte Freude sprach nicht aus ihren Augen. Sie wirkte unergründlich, und
ich konnte mir gut vorstellen, was Dell so an ihr gereizt hatte.
Dell Teague
war blond wie seine Mutter. Auf einer Seite im Sportteil entdeckte ich einen
Schnappschuss von ihm im Footballtrikot. Wie der junge Mann in die Kamera
lächelte, strotzend vor Jugend, Kraft und Zuversicht, brach sogar mir fast das
Herz. Ich fragte mich, ob er geahnt hatte, dass ihm etwas zustoßen würde, oder
ob das Ende vollkommen überraschend für ihn kam. Ob er wohl noch die Zeit
gehabt hatte, sich über das Schicksal seiner Freundin Gedanken zu machen? Als
ich an seinem Grab stand, hatte ich das Gefühl gehabt, er habe etwas geahnt. Das
tat mir leid.
Ich sah mir
Dells und Teenies Bilder immer wieder von vorn an. Die beiden verband
irgendetwas. Ich sah nach, in welcher Zeit die Bilder aufgenommen worden waren.
Teenies war im Spätsommer entstanden und das von Dell ebenfalls. Zu diesem Zeitpunkt
hatte Teenie noch nicht wissen können, dass sie schwanger war. Welches
Geheimnis teilten die beiden? Ich wollte die Artikel ausdrucken und mitnehmen.
Wieder fiel mir auf, dass ich mich vom Schicksal dieser beiden Teenager, die
längst tot waren, viel zu sehr vereinnahmen ließ.
Nachdem ich
so viele nützliche Informationen gefunden hatte, suchte ich im Computer auch
noch nach Artikeln und Bildern von Mary Nell Teague. Mary Nell war auf vielen
Fotos zu sehen. Sie war Cheerleaderin (was ich bereits wusste),
Klassensprecherin und Mitglied des Homecoming Courts. Ich nahm mir sogar die
Zeit, mir ein Bild von Dick Teague, Sybils verstorbenem Mann, anzusehen. Er war
mittelgroß, von mittlerer Statur, hatte braunes Haar, eine helle Haut, schmale
Schultern und lächelte unsicher, zumindest auf den Zeitungsfotos. Er hatte
einen deutlichen Überbiss, eine große Nase und war zu Hause einem plötzlichen
Herzinfarkt erlegen.
Irgendwie
traurig, was für ein abruptes Ende dieser Mann gefunden hatte, der so viel für
die Gemeinde getan hatte, zumindest wenn man der Todesanzeige glaubte. Dick
Teague war Richter gewesen, Mitglied im Lion's Club und bei den
Rotariern. Er war Mitglied der Handelskammer gewesen und Vorsitzender des Boys and Girls Club. Er war sogar Ortsvorsitzender der
Hilfsorganisation Habitat for Humanity gewesen. Ob Sybil wohl
sein soziales Engagement fortführte? Irgendwie bezweifelte ich das.
Apropos
Sybil... ich sah auf die Uhr.
»Wir müssen
los«, sagte ich leise zu Tolliver, der Dinah anlächelte, vielleicht weil ihn
die vielen auf Hochglanz
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