Harper Connelly 01 - Grabesstimmen-neu-ok-10.12.11
schon ein Wimmern. Ich umklammerte mein Handy, bis meine Knöchel weiß
wurden.
»Das heißt,
du bist jetzt ganz allein, Liebes?«
»Ja.«
»Das ist
aber gar nicht gut. Natürlich gibt es in Montana keinen Haftbefehl gegen
Tolliver. Das haben wir längst geklärt. Und wegen eines kaputten Rücklichts
darf man ihn erst recht nicht verhaften. Also hat sich das dieser Cop aus
irgendeinem Grund aus den Fingern gesogen.«
So würde ich
das zwar nicht gerade ausdrücken, wenn ich Tolliver verteidigen müsste, aber
ich war froh, mit jemandem zu reden, der wusste, dass Tolliver unschuldig war.
»Kommst du
klar, Liebes?« Arts Stimme klang freundlich, aber doch so forsch, als erwarte
er eine schnelle Antwort.
»Ja, alles
bestens«, sagte ich, obwohl das selbstverständlich gelogen war.
»Du meinst,
du gibst dir Mühe«, übersetzte Art.
»Ja.«
»Gut. Jetzt
hör mir mal zu, Liebes: Ich kenne eine Anwältin in Little Rock, die zu dir
fahren und dir beistehen kann. Sie heißt Phyllis Folliette. Notier dir ihren
Namen.«
Mein
Gedächtnis ist eigentlich sehr gut, aber ich notierte mir den Namen der
Anwältin sowie ihre Telefonnummer.
»Ich rufe
sie an, sobald wir aufgelegt haben. Sie wird sich sofort bei dir melden oder
zumindest bald.«
»Gut«, sagte
ich. »Prima. Hör mal, Art, die dürfen doch keine Pakete öffnen, die wir mit UPS
versenden, oder?«
»Nein«,
sagte er. »Dafür bräuchten sie vermutlich eine Berechtigung.« Er bat mich,
jederzeit anzurufen, wenn ich noch irgendetwas brauchte, und legte auf.
Ich konnte
nur hoffen, dass Bledsoe nicht mitbekommen hatte, was wir beim Autozubehörladen
gewollt hatten. Solange ich noch davorgestanden hatte, war er nicht
hineingegangen, um Nachforschungen anzustellen. Er hatte uns auch nichts in der
Richtung gefragt. Vielleicht waren es also gar nicht die Haarproben, die zu
Tollivers Festnahme geführt hatten. Vielleicht gab es einen anderen Grund.
Harvey
Branscom war zwar nicht gerade mein Freund, hatte aber auf mich durchaus einen
unabhängigen Eindruck gemacht, den eines Mannes, der sein Geschäft versteht.
Warum ließ er sich dann überreden, bei dieser Farce vor dem Autozubehörladen
mitzumachen? Wer konnte ihn dermaßen beeinflusst haben? Er musste doch wissen,
was sein Hilfssheriff so trieb.
Wem nutzte
es, dass Tolliver ins Gefängnis kam? Das war die alles entscheidende Frage. Was
brachte seine Verhaftung?
Das Erste,
was mir dazu einfiel, war, dass wir jetzt noch länger in Sarne bleiben mussten.
Aber ich verstand nicht, was das irgendjemand nutzen sollte. Ein ganz
verrückter Gedanke durchzuckte mich, und ich beschloss, ihm auf den Grund zu
gehen. Konnte es sein, dass Hollis schon nach so kurzer Zeit derart vernarrt in
mich war, dass er bereit war, Tolliver etwas anzuhängen, nur um mich
hierbehalten zu können? Das konnte ich mir wahrhaftig nicht vorstellen. Dann
schon eher, dass Mary Nell dieselbe Strategie wegen Tolliver anwendete. Der
lächerliche Haftbefehl und das kaputte Rücklicht wirkten wirklich wie ein
verzweifelter Amateurversuch. Andererseits war es mehr als unwahrscheinlich,
dass Mary Nell etwas von unseren früheren Schwierigkeiten in Montana wusste.
Und selbst wenn sie irgendwie davon erfahren hätte, hätte sie keinen
gefälschten Haftbefehl im Polizeicomputer hinterlegen können.
Ich saß
einsam in meinem Motelzimmer und suchte verzweifelt nach einer plausiblen
Erklärung, nach jemandem mit einer Gelegenheit und einem Motiv. Als mir partout
nichts einfallen wollte, öffnete ich die Tür zu Tollivers Zimmer und setzte
mich dorthin. Das Zimmermädchen hatte das Bett gemacht und frische Handtücher
hingehängt. Soweit ich es beurteilen konnte, waren keine Spuren von Tolliver
zurückgeblieben. Für kurze Zeit sorgte allein schon der Aufenthalt in seinem
Zimmer dafür, dass es mir wieder etwas besser ging. Aber nach einer Weile kam
ich mir blöd vor, fast wie ein Eindringling, und kehrte auf mein Zimmer zurück.
Als es an
der Tür klopfte, zuckte ich erschrocken zusammen. Ich sah auf die Uhr. Ich
hatte mindestens eine Stunde so dagesessen, während sich meine Gedanken im
Kreis drehten.
Es war
Hollis. »Es tut mir leid«, meinte er mit zerknirschtem Gesicht.
»Hast du...
du hast nichts damit zu tun, oder?«
»Nein«,
sagte er, zum Glück kein bisschen beleidigt. Er klang fast schon zu nett, wie
jemand, der Angst hat, jeden Moment von einem Hund angefallen zu werden. »Marv
Bledsoe und Jay Hopkins waren früher mal
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