Harper Connelly 01 - Grabesstimmen-neu-ok-10.12.11
Anwältin
konzentrierte.
»Gut«, sagte
sie, während ihre Stimme einen tröstenden Klang annahm. »Wie ich höre, stecken
Sie da in Sarne ganz schön in der Klemme.«
»Kann man so
sagen.«
»Ich wollte
Ihnen nur mitteilen, dass ich beim Sheriff angerufen habe. Dort heißt es, dass
ihr Bruder erst in zwei Tagen zur Anklage vernommen wird. Und ich kann ihn
nicht auf Kaution frei bekommen, bevor der Richter die Kaution festgelegt hat,
verstehen Sie?«
»Ja.«
»Und der
Richter kommt eben erst übermorgen.«
Okay, ich
war ja nicht blöd. »Ich weiß, dass zwei Tage übermorgen bedeutet!«, sagte ich
scharf.
Ȁhm.
Verstehe ... tut mir leid, dass ich immer alles mehrfach erkläre«,
entschuldigte sich die Anwältin. »Das ist so eine Art Berufskrankheit.«
»Hm.«
»Ich werde
also übermorgen nach Sarne kommen, um Ihren Bruder aus dem Gefängnis zu holen.
Diese Anklagepunkte klingen vollkommen schwachsinnig, aber ich werde gleich
morgen früh in Montana anrufen, um die Sache zu klären. In der Zwischenzeit tun
Sie bitte nichts Unüberlegtes und machen sich keine Sorgen. Art hat mir extra
aufgetragen, Ihnen das auszurichten. Einverstanden?«
»Ja.«
»Gut. Ich
verbinde Sie jetzt mit der Buchhaltung, damit Sie das Finanzielle klären
können.«
Alle wollen
sie Geld, genau wie ich. Ich erst recht, weil ich Angst habe, meine Gabe könnte
mir jeden Moment abhandenkommen. Ich möchte sie nutzen, solange es geht, denn
leider habe ich beruflich nichts anderes vorzuweisen. Deshalb möchte ich auch
davon leben können. Sie hat mich schließlich um ein normales Leben gebracht.
Nachdem ich
das Finanzielle geklärt hatte, legte ich auf und überlegte, was ich als
Nächstes tun könnte. Ich packte Tollivers Sachen und verstaute sie in meinem
Zimmer. Dann ging ich zur Motelrezeption und erzählte dem alten Widerling
Vernon McCluskey, dass wir im Moment keine Verwendung für das zweite Zimmer
hätten. Er meinte, ich könne ebenso gut auch auschecken, woraufhin ich sagte,
ich müsse leider noch ein paar Tage länger in Sarne bleiben. Rauswerfen konnte
er mich schlecht, zumindest nicht auf legale Weise. Auch wenn ich seit heute so
den dumpfen Verdacht hatte, dass man es hier in Sarne mit dem Gesetz nicht so
genau nahm. Wenn er es doch irgendwie schaffen sollte, mich zu vergraulen,
würde ich eben einfach in den nächsten Ort fahren, der zu einer anderen
Gemeinde gehörte.
Während ich
gedankenversunken in mein Zimmer zurückkehrte, ertappte ich mich dabei, wie ein
Kind die Hände auszuschütteln, um mich wieder konzentrieren zu können. Es wurde
höchste Zeit, dass ich etwas aß, und so riss ich einen Müsliriegel auf.
Eigentlich brauchte ich dringend etwas Anständiges zu essen, wollte jedoch
nicht allein ausgehen. Zu wissen, dass Tolliver im Motel auf mich wartet oder
in derselben Stadt ist, ist eine Sache. Zu wissen, dass er im Gefängnis sitzt,
etwas ganz anderes. Was er wohl zum Mittagessen bekam, und wann ich ihn wohl
sehen durfte? Ich fragte mich, ob er einen Zellengenossen hatte. Und wie
rücksichtslos dieser war.
Der
einflussreichste Mensch, den ich hier in Sarne neben dem Sheriff kannte, war
Sybil Teague. Ich wusste nicht, ob sie das überhaupt interessieren und sie mir
helfen würde, aber ich rief trotzdem bei ihr an.
»Sybil, mein
Bruder sitzt wegen irgendwelcher vorgeschobener Anklagepunkte im Gefängnis«,
sagte ich, nachdem sie mir erzählt hatte, dass sie sich freue, von mir zu
hören.
»Paul
Edwards hat so was erwähnt«, sagte Sybil mit der kühlen Stimme einer reichen
Frau. »Es tut mir leid, dass Sie solche Unannehmlichkeiten haben.«
Das klang
nicht sehr vielversprechend. »Tolliver wird nirgendwo polizeilich gesucht«,
sagte ich so ruhig wie möglich.
»Der Sheriff
ist zwar mein Bruder, aber Sie müssen schon verstehen, dass ich mich nicht in
Rechtsangelegenheiten einmischen kann«, sagte Sybil, deren Stimme schon nicht
mehr kühl, sondern frostig klang.
»Tolliver
ist mein Bruder, und der Hilfssheriff Ihres Bruders hat ihn eingelocht, aus
Gründen, die anscheinend nur er allein kennt.«
»Welcher
Hilfssheriff?«, fragte Sybil, was mich dann doch überraschte.
»Dieser
Bledsoe. Was für eine Überraschung, nicht wahr?« Ich wollte, dass mir Sybil
gestand, sie habe den Hilfssheriff auf mich gehetzt, damit ich wusste, woran
ich war.
»Also Marv«,
sagte sie langsam und klang schon deutlich unglücklicher. Entweder weil ich sie
da mit hineinzog oder aus anderen Gründen. »Pauls Cousin zweiten
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