Harper Connelly 01 - Grabesstimmen-neu-ok-10.12.11
dass die Leute
schlecht über Helen reden.«
Dafür war es
jetzt zu spät. »Ich glaube, jeder weiß, dass Helen auch nur ein Mensch war«,
sagte ich freundlich. »Ich denke, dass man eher dem Vater Vorhaltungen machen
wird, weil er keine Verantwortung übernehmen wollte.« Ich überlegte schon, dass
ihn Tolliver festhalten könnte, damit ich in ihr Zimmer rennen konnte...
»Na gut, von
mir aus«, sagte Jay Hopkins. Er gab sich geschlagen, und ich wusste, dass ihn
meine Beharrlichkeit nur noch mehr in seiner Versagerrolle bestätigte. Aber im
Moment konnte ich auf sein Selbstwertgefühl keine Rücksicht nehmen. Viel war davon
bestimmt ohnehin nicht übrig.
»Und was
machen Sie mit ihren Haaren?«, fragte er.
»Ich schicke
sie an ein Labor und lasse die DNA untersuchen.«
»Und wie?«
Ich zuckte
die Achseln. »Mit UPS, nehme ich an.«
»Ihr Zimmer
liegt links.« Er hatte die Ellbogen auf seine knochigen Knie gestützt und
senkte den Kopf über seinen verschränkten Händen. Trotzdem wirkte er irgendwie
selbstzufrieden, was mir eigentlich eine Warnung hätte sein sollen.
Das Haus war
so klein, dass es nicht schwerfiel, das Zimmer zu finden. Darin standen immer
noch zwei Betten mit einem Nachttisch dazwischen. Die Wände waren mit Postern
und Souvenirs bedeckt. Überall Trockenblumensträuße und Partyeinladungen,
Briefchen von Freunden und Buttons mit frechen Sprüchen, ein großer Strohhut
und eine Serviette von Dairy Queen. Kleinigkeiten, die nur
demjenigen etwas bedeuten, der sie aufbewahrt. Jetzt hatten sie für niemanden
mehr Bedeutung. Sallys Souvenirs waren bestimmt abgehängt worden, als sie
geheiratet hatte. Was hier hing, gehörte alles Teenie. In der Bürste auf dem
Regal unter dem kleinen Spiegel befanden sich keine Haare mehr. Vielleicht
hatte sie die Polizei nach ihrem Verschwinden mitgenommen, um an Teenies DNA zu
kommen. Ich entdeckte eine Handtasche auf der zerschrammten Kommode. Ich leerte
sie auf dem Bett aus, das mir am nächsten stand, und wurde mit einer kleineren
Bürste belohnt, in der sich viele von Teenies dunklen Haaren verfangen hatten.
Ich steckte die Bürste in einen braunen Umschlag, den ich mitgebracht hatte,
und sah mich noch einmal in dem vollgestopften Raum um. Bestimmt war er bereits
mehrfach gründlich durchsucht worden - von der Polizei und natürlich von Helen.
Ich würde das Zimmer meiner Tochter auch durchsuchen, wenn sie vermisst würde,
und jeden Stein umdrehen. Insofern hielt ich es für sinnlos, hier noch nach
irgendwelchen Hinweisen Ausschau zu halten.
Ich bekam
auch ein paar Haare von Jay Hopkins, der scherzhaft sagte, viele habe er ja
nicht mehr übrig. Jetzt besaß ich Haarproben von Teenie und Jay, in die ich
allerdings keine großen Hoffnungen setzte. Ich beschloss, sie trotzdem
einzuschicken.
Tolliver hat
eine Freundin in einem großen Privatlabor in Dallas. Die kann Sachen erledigen,
die ich nicht zuwege bringe. Tolliver muss dafür zwar einiges an Süßholz
raspeln, aber das hat noch niemandem geschadet. Na gut, zugegeben, mir macht
das Bauchschmerzen, aber davon stirbt man nicht.
Ich konnte
es kaum erwarten, von hier wegzukommen, aber Jay wollte alles über unser
letztes Gespräch mit Helen wissen, und ich fühlte mich verpflichtet, ihm zu
erzählen, was ich auch schon der Polizei gesagt hatte. Er erlaubte mir auch,
eine Haarprobe von Helens Bürste zu nehmen. Anstatt sich darüber aufzuregen,
schien er sich plötzlich für das Thema biologische Vaterschaft zu
interessieren.
»Und du
willst das alles bezahlen?«, fragte Tolliver. Wir fuhren zur UPS-Filiale, die
sich unweit des Rathausplatzes in einem Laden für Autozubehör befand. Kleine
Läden müssen in Sarne, wie im Süden generell, ein ziemlich breites Angebot
abdecken. Aber das war ich gewohnt. Ich holte mir ein paar Umschläge und
verpackte die Muster so, wie es Tollivers Freundin verlangt hatte.
»Ja«, sagte
ich. »Ich bezahle das.«
»Aber warum
tust du das, um Himmels willen?«
»Keine
Ahnung. Ich will hier weg. Ich will, dass der Schuldige bestraft wird. Ich
finde es furchtbar, dass Helen und ihre beiden Töchter einem Mörder zum Opfer
gefallen sind.«
»Oder geht
es dir eher um Hollis?«, fragte Tolliver streng. »Möchtest du vielleicht einen
Polizisten beeindrucken?«
Ich hätte
Tolliver am liebsten eine reingehauen oder ihn laut angeschrien. Aber ich
starrte nur zu ihm hoch und tat keines von beidem. Nach einer langen Pause
sagte er: »Ist ja gut, es tut mir leid.«
»Und
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