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Harper Connelly 01 - Grabesstimmen-neu-ok-10.12.11

Harper Connelly 01 - Grabesstimmen-neu-ok-10.12.11

Titel: Harper Connelly 01 - Grabesstimmen-neu-ok-10.12.11 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlaine Harris
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aus Liebe, hat sie gesagt.«
    »Was kann
sie nur damit gemeint haben?«, fragte ich. Wenn Mary Nell in der Nähe war,
brauchte man kein Aufnahmegerät.
    »Keine
Ahnung«, sagte das Mädchen. »Das habe ich auch nie verstanden. Ich glaube,
meine Mutter meinte, dass ihr Helen irgendwas weggenommen hat. Aber mir
gegenüber wollte sie nichts verraten.« Verbitterung über die eigene Familie
schwang in ihrer Stimme mit: das Teenagermädchen gegen die Welt der
Erwachsenen.
    »Mary Nell,
könntest du mich zu meinem Wagen zurückfahren?«
    Sie klang
ein bisschen verletzt, als sie meine Frage bejahte.
    Meine
Reaktion war in der Tat etwas brüsk, aber ich musste nachdenken. Und solange
ich Mary Nell zuhörte, würde sie reden wie ein Wasserfall.
    Als ich
endlich allein war, fühlte ich mich schutzlos und angreifbar. Ich fuhr auf
direktem Weg zum Motel und schloss mich in dem blöden Zimmer mit dem blöden
grünen Bettüberwurf ein. Niemand hatte eine Nachricht für mich hinterlassen,
und ich wusste nicht recht, ob das nun gut oder schlecht war. Mein Bein
kribbelte, wie so oft, und ich schälte mich aus meiner Jeans und rieb über
meine Haut, unter der ein feines lila Spinnennetz durchschimmerte. Cameron
hatte mich eine Zeitlang Spiderwoman genannt. Aber das war, bevor wir
herausfanden, dass die geplatzten Äderchen nie mehr weggehen würden. Mein
Stiefvater hatte mir nur zu gern befohlen, mein Bein bei seinen Freunden
herumzuzeigen.
    Hollis hatte
die Äderchen nie erwähnt. Vielleicht war ihm gar nicht klar, dass sie von dem
Blitz stammten. Vielleicht hielt er sie für eine Art Muttermal und wollte meine
Gefühle nicht verletzen.
    Ich legte
mich aufs Bett. SO IO DA NO, dachte ich. Das klang fast wie der Refrain eines
Karibiksongs. Na gut. Und jetzt von hinten. ON AD OI OS. NO DA IO SO. Soda,
Aids, Anis, DIN, Dan, in, an, Ida, Nadia? Nö, nur ein A. Warum ein A? Jede
andere Kombination endete auf O.
    Na gut. Was,
wenn der zweite Buchstabe irgendeine... Krankheit wäre? Und der erste Buchstabe
für den Namen stünde. S könnte Sybil bedeuten, D Dell, N ... ach ja, Mary Nell
hatte mir erzählt, ihr Vater habe sie Nelly genannt. Sie könnte N sein. Aber
wer war dann I? Kein Name, den ich kannte, begann mit I. Aber D könnte auch für
Dick Teague stehen, wenn der Buchstabe nicht Dell bezeichnete.
    Zum ersten
Mal wünschte ich mir, ich könnte den Toten Fragen stellen. Aber ich konnte nur
die Informationen verwerten, die sie mir preisgaben. Und das war nur eine Art
Momentaufnahme ihres Todes und dessen, was sie dabei fühlten. Das Wer oder auch
nur Warum verrieten sie mir nie.
    Eine
Kugel in meinem Rücken ... eine Infektion meiner Lunge ... mein Herz hat
plötzlich angefangen zu stolpern und aufgehört zu schlagen ... ich war einfach
zu alt und zu erschöpft ... das Auto hat mich mit einer solchen Wucht getroffen
... ich bin aus so großer Höhe gestürzt ... ich nahm das Rasiermesser und ...
ich bekam keine Luft mehr, bekam einfach keine Luft mehr, mein Inhalationsgerät
stand zu weit weg ... das Stück Fleisch blieb einfach in meiner Luftröhre
stecken ... das Virus breitete sich in mir aus und zerstörte meinen Körper ...
das Messer zerschlitzte erst meine Leber, dann meinen Bauch, dann ...
    Jeder Tote
hatte seine eigene Geschichte. Aber er erklärte nie etwas und verurteilte
niemanden. In bestimmten Internetforen, die ich besuchte, hatte ich erfahren,
dass es noch mehr Leute gab wie mich, die ebenfalls vom Blitz »geküsst« worden
waren. Manche konnten die Toten sehen, ja sich sogar mit ihnen verständigen.
Niemand sonst hatte zugegeben, nur so eingeschränkt mit den Toten kommunizieren
zu können wie ich. Es gab vom Blitz Getroffene, die in die Zukunft sehen
konnten, aber humpelten oder auf einem Auge blind waren. Eine Frau hatte
erzählt, dass ihr keiner aus der Familie direkt nach dem Blitzschlag geholfen
hätte, da man geglaubt hatte, sie stehe noch unter Strom. In einem privateren
Forum mit deutlich weniger Mitgliedern schrieb ein Mann aus Colorado, dass er
ständig von seinem verstorbenen Bruder begleitet würde, der vom selben Blitz
getroffen worden war und nicht überlebt hatte. Natürlich war er der Einzige,
der diesen Bruder sehen konnte, und seine Familie hatte ihn sogar zeitweise in
die Psychiatrie einweisen lassen.
    Ich blieb
den ganzen Abend auf meinem Zimmer und bestellte mir eine Pizza. Hollis rief
an, um mir zu sagen, dass er Nachtschicht hätte. Und dass ich ihn anrufen
solle, wenn ich irgendetwas brauchte.

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