Harper Connelly 03 - Ein eiskaltes Grab-neu-ok-14.12.11
Aber damit würde ich Tolliver nur in Verlegenheit bringen. Ich sah
ihn mir gründlich an, bemerkte die Ringe unter seinen Augen, die hängenden
Schultern. Er sah älter aus als achtundzwanzig. »Tolliver«, sagte ich schuldbewusst.
Er kam zu mir und ergriff meine gesunde Hand. Ich schmiegte meine Wange an
seine Finger, und die Sonne schien zum Fenster herein und wärmte mein Gesicht.
Ich liebte ihn über alles, aber das durfte er nie erfahren.
Plötzlich
sagte Dr. Thomason: »Dann sehe ich Sie also wenigstens morgen früh noch mal.
Essen dürfen Sie ganz normal, ich werde den Schwestern Bescheid geben. Lassen
Sie es heute langsam angehen, und gute Besserung.« Bevor ich noch etwas sagen
konnte, war er auch schon verschwunden. Schuldbewusst ließ ich Tollivers Hand
los. Ich hatte sie schon viel zu lange festgehalten.
Er beugte
sich vor und küsste meine Wange. »Ich werde jetzt duschen gehen, frühstücken
und ein Schläfchen machen«, sagte er. »Bitte versuch nicht, das Bett allein zu
verlassen, wenn ich nicht da bin. Versprich mir, dass du nach einer Schwester
klingelst.«
»Versprochen«,
sagte ich und überlegte, warum jedermann zu glauben schien, dass ich sämtliche
Regeln missachtete, sobald man mir den Rücken zukehrte. Das einzig Merkwürdige an
mir ist, dass ich vom Blitz getroffen wurde. Ich halte mich nicht für eine
Rebellin, für jemanden, der bewusst Ärger vom Zaun bricht oder sonst
irgendetwas anstellt.
Nachdem er
weg war, war ich ratlos. Ich hatte kein Buch dabei, Tolliver hatte versprochen,
mir bei seiner Rückkehr eines mitzubringen. Andererseits hatte ich so meine
Zweifel, ob ich mit meinem Kopf überhaupt etwas lesen konnte. Vielleicht sollte
ich ihn lieber bitten, mir ein Hörbuch und meinen kleinen CD-Player mitsamt den
Kopfhörern mitzubringen.
Nachdem ich
mich zehn Minuten gelangweilt hatte, fing ich an, mir die Apparate neben meinem
Bett ganz genau anzusehen. Ich schaffte es, den Fernseher anzumachen. Der
Kanal, der eingestellt war, war der Krankenhauskanal, und ich sah, wie Leute in
die Lobby und aus ihr heraus geschoben wurden. Obwohl ich mich nicht so schnell
langweile, ödete mich auch dies nach zehn Minuten an. Ich schaltete auf einen
Nachrichtenkanal um, was ich gleich darauf bereuen sollte.
Das
verlassene, verfallene Haus inmitten der malerischen Landschaft sah ganz anders
aus als am Vortag. Ich musste daran denken, wie mutterseelenallein ich mich auf
dem Grundstück gefühlt hatte, wie einsam es gelegen war. Einsam genug, um
jemandem Gelegenheit zu geben, acht junge Männer dort zu verscharren, ohne dass
irgendetwas bemerkt worden wäre. Jetzt konnte man dort nicht aufkreuzen, ohne
von vier Leuten mit Mikrofonen bedrängt zu werden.
Der
Filmbeitrag, den ich jetzt sah, war sicherlich noch nicht alt, vielleicht wurde
sogar live gesendet, denn der Stand der Sonne entsprach dem vor meinem Fenster.
Es tat übrigens gut, mal wieder die Sonne zu sehen. Hätte ich doch nur draußen
an der frischen Luft sein können! Aber angesichts der dicken Kleidung, die die
Leute im Fernsehen trugen, war es offenkundig immer noch verdammt kalt.
Ich achtete
nicht auf den Kommentar und starrte stattdessen auf die Gestalten hinter dem
Reporter. Einige trugen Polizeiuniformen, andere Overalls. Das musste die
Spurensicherung vom SBI sein. Die beiden Männer in Anzügen waren bestimmt
Klavin und Stuart. Ich war stolz darauf, dass ich mich noch an ihre Namen
erinnerte.
Wie lange es
wohl dauern würde, bis mich jemand besuchen kam? Vielleicht wurde ich ja morgen
entlassen, und wir konnten unseren ursprünglichen Plan in die Tat umsetzen, die
Stadt verlassen und eine gewisse Entfernung zwischen uns und diese Verbrechen
bringen.
Noch während
ich dies dachte, klopfte es auch schon an der Tür.
Zwei Männer
in Anzug und Krawatte kamen herein, genau das, was ich jetzt gar nicht brauchen
konnte.
»Ich bin
Pell Klavin, und das ist Max Stuart«, sagte der Kleinere der beiden. Er war um
die fünfundvierzig, sportlich und gut gekleidet. Sein Haar wurde allmählich
grau, und seine Schuhe glänzten. Er trug eine randlose Brille. »Wir sind vom State Bureau of Investigation.« Stuart war ein wenig jünger und sein Haar
war viel heller. Falls auch er bereits grau wurde, sah man es nicht. Er war
genauso gut in Form wie Klavin.
Ich nickte,
bereute es jedoch sofort. Vorsichtig fasste ich mir an den bandagierten Kopf.
Obwohl er sich anfühlte, als würde er jeden Moment herunterfallen (was mein
Befinden deutlich
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