Harper Connelly 03 - Ein eiskaltes Grab-neu-ok-14.12.11
bitte?«
Ich muss genauso verblüfft ausgesehen haben, wie ich
mich fühlte.
»Es gibt
eine Website über dich und deine Arbeit. Die Leute schicken eine Mail dorthin,
wenn sie dich gesehen haben.«
Daraus wurde
ich auch nicht klüger. »Warum?«
»Du hast
eben eine Fangemeinde«, sagte Manfred. »Die Leute wollen wissen, wo du gerade
bist, was du gefunden hast.«
»Das ist ja
verrückt.« Ich war fassungslos.
Er zuckte
die Achseln. »Was wir machen, ist auch verrückt.«
»Das steht
also im Internet? Dass ich in Doraville, North Carolina, bin?« Ob Tolliver wohl
ebenfalls über meine Fans Bescheid wusste? Warum hatte er mir nichts davon
erzählt?
Manfred
nickte. »Es gibt ein paar Bilder von dir hier in Doraville, wahrscheinlich
wurden sie mit einem Handy aufgenommen«, sagte er und verblüffte mich erneut.
»Das kann
ich mir nicht vorstellen«, sagte ich und schüttelte den Kopf. Aua.
»Möchtest du
darüber reden?«, wollte Manfred wissen. »Über das, was hier passiert ist?«
»Wenn es
unter uns bleibt und nicht auf irgendeiner Website landet«, sagte ich, aber
sein Gesichtsausdruck ließ mich sofort verstummen. »Tut mir leid«, sagte ich.
»Ich finde die Vorstellung einfach schrecklich, dass Leute verfolgen, wo ich
mich aufhalte, und mich beobachten, ohne dass ich es weiß. Ich würde nie so
etwas tun.«
»Erzähl mir,
wie du verletzt wurdest«, sagte er, meine Entschuldigung annehmend. Manfred
ließ sich auf dem Stuhl an meinem Bett nieder, auf dem Tolliver geschlafen
hatte.
Ich erzählte
Manfred von den Gräbern, von Twyla Cotton und Sheriff Rockwell, von den toten Jungen in der kalten Erde.
»Irgendjemand
lässt hier seit Jahren Jungen verschwinden, und niemand hat etwas bemerkt?«,
sagte Manfred. »Das muss ja der reinste Serienmörder
sein!«
»Ich weiß.
Aber als Sheriff Rockwell erklärte, warum es wegen der
verschwundenen Jungs keinen Aufstand gab, klang das durchaus glaubwürdig. Sie
waren alle im typischen Ausreißer alter.« Eine Pause entstand. Ich hätte
Manfred gern gefragt, wie alt er war.
»Einundzwanzig«,
sagte er, und ich zuckte überrascht zusammen.
»Ich habe
auch eine kleine Gabe«, sagte er gespielt bescheiden.
»Xylda kann
eine unglaubliche Hochstaplerin sein«, sagte ich zu erschöpft, um höflich zu
bleiben. »Aber tief in ihrem Innern ist sie echt.«
Er lachte.
»Sie kann ganz schön betrügen, aber wenn sie in ihrem Element ist, ist sie
wirklich einzigartig.«
»Ich werde
einfach nicht aus euch schlau«, sagte ich.
»Ich kann mich
ganz gut ausdrücken für einen tätowierten Freak, stimmt's?«
Ich
lächelte. »Du kannst dich überhaupt gut ausdrücken. Und ich bin drei Jahre
älter als du.«
»Du lebst
schon drei Jahre länger als ich, aber wetten, dass meine Seele älter ist als
deine?«
Dieser feine
Unterschied war mir im Moment zu hoch.
»Ich muss schlafen«, sagte ich und schloss die Augen.
Ich hatte
nicht erwartet, dass ich sofort wegdösen würde, bevor ich mich bei Manfred für
seinen Besuch bedanken konnte.
Körper
brauchen Ruhe, um wieder zu genesen, und mein Körper brauchte mehr Ruhe denn
je. Keine Ahnung, ob das etwas mit dem Blitz zu tun hatte, der in mich gefahren
war. Viele Blitzopfer haben Schlafstörungen, aber daran leide ich nur selten.
Andere Überlebende, mit denen ich mich im Internet ausgetauscht habe, haben
alle möglichen Symptome: Krämpfe, Gehörverlust, Sprachprobleme, verschwommenes
Sehen, unkontrollierbare Wutanfälle, Gliederschwäche, ADD. Natürlich können die
meisten von ihnen weitere Konsequenzen haben, in der Regel negative. Man kann
seinen Job verlieren, Ehen scheitern, Geld wird verprasst, in der Hoffnung, ein
Allheilmittel zu finden oder wenigstens etwas, das die Beschwerden lindert.
Vielleicht
würde ich heute auch in einer betreuten Werkstatt arbeiten, wenn ich nicht zweimal
großes Glück gehabt hätte. Zum einen, dass mir der Blitz nicht nur etwas
genommen, sondern auch etwas geschenkt hatte: meine merkwürdige Gabe, Leichen
zu finden. Zum anderen, dass ich Tolliver hatte, bei dessen Anblick ich auf
Anhieb Herzklopfen bekam. Tolliver, der an mich glaubte und mir dabei geholfen
hatte, meine neue, nicht sehr angenehme Gabe zum Beruf zu machen.
Ich konnte
höchstens eine halbe Stunde geschlafen haben, aber als ich aufwachte, war
Manfred verschwunden, Tolli ver war wieder da, und die
Sonne hatte sich hinter dicken Wolken versteckt. Die Uhr an der Wand zeigte
halb zwölf an, und ich konnte schon den Wagen mit dem
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