Harper Connelly 03 - Ein eiskaltes Grab-neu-ok-14.12.11
so als glaubte er mir nicht
oder habe kein Interesse an ihnen. Er stellte sich vor mich. Da ich auf dem
Untersuchungstisch saß, musste er zu mir aufsehen, seine Augen hinter der
Goldrandbrille schienen zu glänzen.
Er lächelte
mich an. »Sie machen einen guten Eindruck auf mich, Ms
Connelly. Es geht Ihnen den Umständen entsprechend gut, nach so einem
Überfall kann man nichts anderes erwarten. Es besteht kein Anlass zur Sorge.
Alles verheilt wunschgemäß. Ich hoffe, sie haben noch genügend Schmerzmittel?«
»O ja«,
sagte ich.
»Gut. Denn
wenn sie alle wären, müsste ich mir Sorgen um Sie machen. So jedoch können Sie
beruhigt gehen. Sie werden sich nur eine Zeit lang noch nicht so besonders
fühlen.«
»Oh,
verstehe. Danke, dass Sie mich untersucht haben.«
»Gut, viel
Glück. Sie sind reisefähig.« Dann sauste er mit wehendem Arztkittel davon. Er
konnte es anscheinend kaum erwarten, dass ich die Stadt verließ. Tolliver half
mir vom Untersuchungstisch herunter. Wir verließen das Arztzimmer schweigend
und zahlten im Hinausgehen. Ich warf einen Blick auf den großen Aktenschrank an
der Rezeption. Wäre ich eine mutige Detektivin, würde ich die Rezeptionistin
und Arzthelferin ablenken und mir die Patientenakten der toten Jungen ansehen.
Aber ich bin keine mutige Detektivin, und mir fiel kein Vorwand ein. Wenn
überhaupt, hätte ich vielleicht gerade mal ein paar Schubladen aufziehen
können. Die Detektivinnen im Kino und im Fernsehen hm dies ständig, aber die
haben auch bessere Drehbuchschreiber. Im wirklichen Leben hat man nicht die
Möglichkeit, Einsicht in geheime Patientenakten zu nehmen, außer man bricht
nachts ein, und das hatte ich nicht vor. Mein Bedürfnis, den Täter zu kennen,
hatte Grenzen. Ich würde nicht riskieren, selbst ins Gefängnis zu wandern.
Außerdem -
was ging mich das überhaupt an? Die Ermittler vor Ort waren entsprechend
geschult und effizient, ihnen standen alle möglichen Labore zur Verfügung, und
sie hatten jede Menge Erfahrung. Sie würden herausfinden, wer die Morde verübt
hatte, daran zweifelte ich keine Sekunde. Und dann würden die Morde aufhören.
Irgendjemand käme nach einem langen, schmutzigen Prozess ins Gefängnis.
»Irgendetwas
an der Sache lässt mich nicht los«, sagte ich. Ich musste das Schweigen
brechen, sonst würde ich noch explodieren. »Irgendwas stimmt da nicht.«
»Du meinst,
über die Tatsache hinaus, dass hier acht tote Kinder gefunden wurden?« Tolliver
klang gelassen, aber seine Worte waren bissig.
»Ja. Irgendwas
stimmt nicht.«
»Zum
Beispiel?«
»Ich glaube,
dass jemand in Gefahr ist.«
»Warum?«
»Das ist
bloß so ein Gefühl... Wo willst du eigentlich hin?«
»Zurück zur
Hütte.«
»Reisen wir
ab?«
»Der Arzt
meinte, du seist reisefähig.«
Ich machte
das Autoradio an. Nach der Wärme am Morgen gab es den angekündigten
Temperatursturz.
»Und, wie
lautet der Wetterbericht, Ray?«, fragte eine weibliche Stimme in einem der
regionalen Sender.
»Knapp
zusammengefasst, Candy, lautet er... bleibt zu Hause,
Leute! Ein Eissturm zieht auf, dem ihr lieber aus dem Weg gehen solltet. Die
Polizei rät allen Autofahrern, heute Abend zu Hause zu bleiben. Wartet bis
morgen, dann wissen wir mehr.«
»Dann
sollten wir uns also mit viel Brennholz und alten Spielfilmen eindecken, Ray?«
»Ja, die
könnt ihr euch ansehen, bis der Strom ausfällt!«, sagte Ray. »Holt eure
Brettspiele, Taschenlampen und Kerzen hervor und legt euch Wasservorräte an,
Leute!«
Einige
Minuten lang folgten noch weitere Ratschläge, wie die Leute den Sturm am besten
überstanden.
Wortlos
hielten wir vor einem kleinen Wal-Mart.
»Bleib im
Wagen«, sagte Tolliver kurz angebunden. »Du wirst sonst nur angerempelt.« Der
Supermarkt war wirklich sehr voll, die Leute strömten mit Einkaufswägen voller
Notvorräte heraus, und ich widersprach ihm nicht. Wir haben im Winter immer
eine Decke im Auto, und ich wickelte mich in diese, während er sich zum
Supermarkt vorarbeitete.
Da wir nur
uns selbst versorgen mussten und nicht vorhatten, länger als unbedingt nötig
hierzubleiben, musste Tolliver nicht so viel einkaufen. Trotzdem dauerte es
mindestens eine Dreiviertelstunde, bis er mit seinem Einkaufswagen aus dem
Laden kam.
Als wir
wieder am See waren, parkten wir direkt vor der Treppe. Ich beschloss, mich
nützlich zu machen, indem ich einen Gegenstand nach dem anderen aus dem
Kofferraum holte und mit Schwung auf halbe Höhe der Treppe zum Wohnbereich
wuchtete. Dann
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