Harper Connelly 03 - Ein eiskaltes Grab-neu-ok-14.12.11
und die sinnlichen Kurven ihrer Mutter geerbt, die bei ihr aber
längst nicht so üppig ausfielen. Rain war eine ziemlich attraktive Frau, die
bestimmt noch nicht ihren Vierzigsten gefeiert hatte.
Wir waren gerade
bei ihnen angelangt, als der erste übliche Besucher vorbeikam. Barney Simpson
wirkte ernster denn je, und ich fragte mich, ob er wohl ein Freund von Tom
Almand war. Nachdem Barney seine üblichen Fragen zum Patientenkomfort und der
Zufriedenheit mit der ärztlichen Behandlung hier im Krankenhaus gestellt hatte,
blieb er im Zimmer. Ich überlegte, ob er Rain heimlich bewunderte, schließlich
war er geschieden.
»Das mit Ihrer
Mutter tut mir sehr leid«, sagte Barney zu Rain. »Sie war eine schillernde
Persönlichkeit, und Sie werden sie bestimmt vermissen. Sie hat unseren
kleinen Ort in der kurzen
Zeit, die sie hier war, sehr beeindruckt. Man wird sich hier noch lange an sie
erinnern.«
Wie unglaublich
taktvoll, dachte ich. Obwohl Manfred blass und schmerzverzerrt dalag, huschte
ein Lächeln über sein Gesicht.
»Ich weiß Ihre
Worte sehr zu schätzen«, sagte Rain, die in punkto Höflichkeit nicht
zurückstehen wollte. »Danke, dass Sie sich so gut um sie gekümmert haben.
Manfred hat erzählt, Sie hätten nach ihr gesehen. Ihr Gesundheitszustand war so
schlecht, dass Manfred und ich schon mit ihrem Tod gerechnet haben, wir machen
dem Krankenhaus keinen Vorwurf.« Sie warf Manfred einen beschwichtigenden Blick
zu, der die Augen geschlossen hatte und sich aus der Unterhaltung heraushielt.
»Manfred findet,
man solle sie obduzieren«, sagte Rain. »Sie stand hier in Doraville nicht unter
ärztlicher Aufsicht, in Tennessee aber natürlich schon, und sie war, kurz bevor
sie nach Doraville aufbrach, bei ihrem Kardiologen gewesen. Was meinen Sie?«
In diesem Moment
kam Dr. Thomason herein, sagte: »Draußen regnet es« und schüttelte seinen
Schirm aus. »Nur Regen, kein Eisregen«, fügte er beruhigend hinzu.
»Gut, dass Sie da
sind«, sagte Barney. »Ich werde Ihnen kurz erzählen, worüber wir gerade geredet
haben.« Barney wiederholte Rains Frage. »Was meinst du, Len?«, sagte er.
»Das hängt ganz
davon ab, was wir von ihrem Arzt in Tennessee erfahren«, sagte Len Thomason
nachdenklich. »Wenn ihr dortiger Arzt meint, dass mit ihrem Tod zu rechnen war,
dass er nicht überraschend kam und keine Rätsel aufgibt, wäre es vernünftig,
keine Obduktion vornehmen zu lassen. Und genau diesen Rat würde ich dem
Gerichtsmediziner auch geben. Aber«, fuhr er fort und hob beide Hände, als
wolle er sagen: »Man kann nie vorsichtig genug sein«, »wenn der Arzt Zweifel
hat - er kannte sie schließlich am besten -, werden wir der Sache auf den Grund
gehen müssen.«
Dr. Thomason hatte
sehr sachlich argumentiert, seine Worte klangen so normal und vernünftig, dass
man ihm instinktiv beipflichtete. Diese Gabe musste ihm in seiner Praxis sehr
zupasskommen. Ich schämte mich beinahe, dass ich ihn verdächtigt hatte, etwas
mit den Morden an den Jungen zu tun zu haben. Doch als ich sah, wie er auf eine
Frage Rains breit lächelnd reagierte, überfiel mich wieder die Vorstellung, wie
leicht Len Thomason einen Jungen überreden konnte, ihm überallhin zu folgen.
Einem Arzt vertraut jeder. Er hätte alles Mögliche sagen können, um einen
jungen Mann zum Mitkommen zu bewegen. Auf Anhieb fiel mir zwar nichts ein, aber
das würde bestimmt noch kommen.
Selbst Barney
Simpson, der nicht gerade ein besonders heiterer Mensch zu sein schien, blühte
in Dr. Thomasons Gegenwart regelrecht auf. Mir fiel wieder ein, dass er am
Vorabend bei Xylda vorbeigeschaut hatte, um mit ihr zu reden. Nein, er hatte
nur einen Blick zu ihr hineingeworfen und war wieder gegangen. Er hatte das
Zimmer nicht einmal betreten.
Doak Garland stand
auf dem Flur und betete mit irgendwelchen Angehörigen vor einem Zimmer, an
dessen Tür ein Schild hing, auf dem stand: »Achtung! Hier wird mit reinem Sauerstoff
gearbeitet«. Mit ihm würde auch jeder mitgehen. Er war so nett und liebenswert,
so hilfsbereit und höflich.
Warum suchte ich
überhaupt nach weiteren Verdächtigen? Tom Almand war verhaftet worden. Der Fall
war abgeschlossen. Es war schwer vorstellbar, dass ein einzelner Mann so viel
Leid über die Leute hier bringen konnte. Sogar Almands eigener Sohn hatte
seinetwegen sterben müssen. Irgendwas an der ganzen Sache fühlte sich unfertig,
unenthüllt an.
Ich war mir
sicher, dass Tom einen Komplizen, einen Mittäter hatte.
Nachdem ich mir
dies
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