Harper Connelly 03 - Ein eiskaltes Grab-neu-ok-14.12.11
es ein gruseliges Bild, das
ich vor Augen hatte. Jemand hatte ruhig und teilnahmslos zugesehen, wie Xylda
starb. Er hatte das Sterben nicht beschleunigt, aber auch nicht verhindert.
»Oh, gut«, sagte
Cleda. »Die Hinterbliebenen sind bestimmt froh, das zu hören.«
Ich nickte.
Der schwarze
Leichensack verschwand wieder im Übergangsraum.
Betrübt gingen wir
wieder über den Parkplatz und durch den Gang zurück in den Empfangsraum des
Bestattungsinstituts.
»Sie dürfen sich
wahrscheinlich auf jede Menge Aufträge gefasst machen«, sagte Tolliver. »Wenn
die Leichen der... der jungen Männer erst mal freigegeben wurden... « Ich hätte
erwartet, dass er »Opfer« sagen würde.
»Da kommt viel
Arbeit auf uns zu, Sir« bestätigte sie. »Einer der Jungen war mein Neffe. Seine
Mutter, die Frau meines Bruders, wollte heute Morgen gar nicht aufstehen. Es
wäre schon schlimm genug, zu erfahren, dass ihn jemand entführt und ermordet
hat. Aber zu wissen, dass er noch so lange gelebt hat und gefoltert wurde, dass
man ihn auf so eine widernatürliche Weise benutzt hat... dieser Gedanke bringt
sie um.«
Hier war keinerlei
Entgegnung hilfreich, Cleda hatte schlichtweg recht. Zu wissen, dass dem
eigenen Kind Schnitt- und Brandwunden zugefügt worden waren, dass man es
vergewaltigt hatte, machte seinen Tod tatsächlich noch schlimmer, und
man konnte nichts dagegen tun. Ich hatte stets die Vorstellung, dass meine
Schwester Cameron vergewaltigt
wurde, bevor man sie umgebracht hat, Beweise dafür hatte ich jedoch nicht.
Allein die Vorstellung war schlimm genug. Ich fand den Akt an sich
widernatürlich, und zwar unabhängig vom Geschlecht des Opfers. Aber in diesem
Moment wollte ich das nicht diskutieren.
»Unser
aufrichtiges Beileid«, sagte ich.
»Danke«, sagte
Cleda Humphrey würdevoll, und wir fanden den Weg selbst
hinaus.
»Sie war
unglaublich freundlich«, sagte Tolliver, als wir in den Wagen stiegen. »Sie ist
die entspannteste Bestatterin, mit der wir es je zu tun hatten.«
Er hatte recht.
»Sie ist ziemlich locker mit uns fertiggeworden«, sagte ich.
»Eine nette
Abwechslung.«
Ich nickte.
Als Tolliver den
Zündschlüssel ins Schloss steckte, kam Pfarrer Doak Garland in seinem
bescheidenen Chevrolet auf den Parkplatz gefahren. Er näherte sich dem Wagen,
also drehte Tolliver den Autoschlüssel wieder in die andere Richtung und ließ
das Fenster herunter.
»Hallo«, sagte
Doak und beugte sich zu uns.
»Was führt Sie
hierher?«, fragte ich und hoffte, er würde uns nicht zu unserem Besuch im
Bestattungsunternehmen befragen.
»Nun, eine der
Leichen wird schon morgen freigegeben, es handelt sich um die von Jeff McGraw.
Deshalb wollte ich mit Cleda über den Gottesdienst sprechen. Ich glaube, wir
brauchen zusätzlich Polizei, um den Verkehr zu regeln, ich war deswegen schon
bei Sheriff Rockwell auf dem Revier. Und Cleda muss
auf eine zusätzliche Totenwache vorbereitet werden.«
»Das wird eine
anstrengende Zeit für Sie«, sagte Tolliver. »Es kommen jede Menge
Trauergottesdienste auf Sie zu.«
»Nun, ich war nicht
der Pfarrer von all diesen Jungen«, sagte Doak mit einem freundlichen Lächeln.
»Aber zu jeder Beerdigung wird die ganze Gemeinde kommen, wir müssen uns also
alle auf harte Zeiten gefasst machen. Aber vielleicht ist das nur gerecht. Wie
konnte das nur mitten unter uns passieren, ohne dass wir irgendwas bemerkt
haben?«
Diese Frage war
mir eine Nummer zu groß. »Ist das nicht eine Frage für Abe ... äh ... Madden, den
früheren Sheriff?«, sagte ich. »Ist er
nicht mit dafür verantwortlich, weil er suggerierte, es handele sich bei den
Jungen um Ausreißer und nicht um gefährdete Vermisste? Bei dem
Gedenkgottesdienst neulich schien er einen Teil der Verantwortung auf sich
nehmen zu wollen.«
Doak Garland
wirkte überrascht. »Wir sollten lieber nicht mit dem Finger auf andere zeigen«,
sagte er wenig überzeugend. Es war ihm deutlich anzumerken, dass er nicht zum
ersten Mal über Abe Maddens Rolle in diesem Drama nachdachte.
»Glauben Sie wirklich, dass das etwas ausgemacht hat?«, sagte er.
»Natürlich«,
erwiderte ich überrascht. Ich kannte Abe Madden nicht, ich musste
keine Rücksicht auf seine Gefühle oder seinen Ruf nehmen. »Wenn er sich nach
dem Verschwinden der Jungen wirklich so verhalten hat, wie es mir beschrieben
wurde, hat das natürlich etwas ausgemacht. Hätte man früher mit den
Ermittlungen begonnen, würden hier noch mehr Kinder herumlaufen.«
»Aber wenn man ihm
die
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