Harper Connelly 03 - Ein eiskaltes Grab-neu-ok-14.12.11
nur verstärkt hatte.
Ich hätte schwören
können, einen Reporter zu kennen. Dann erinnerte ich mich, dass ich ihn auf
einem überregionalen Fernsehsender gesehen hatte. »Haben Sie schon jemals so
viele Leichen an einem Ort gefunden?«, fragte er. Das war eine so direkte Frage
und genau das, was ich gerade selbst gedacht hatte, dass ich sagte: »Nein, nie.
Und ich möchte das auch nie mehr erleben.«
Die Medienmeute
wurde lauter. Wenn ich eine Frage beantwortete, dann vielleicht auch andere.
Aber dann beging
der Reporter einen großen Fehler, er stellte die »Wie hat sich das
angefühlt?«-Frage.
Solche Fragen
beantworte ich grundsätzlich nicht. Meine Gefühle sind allein meine Sache.
Nachdem ich mit
Mühe die Tür aufbekommen, mich angeschnallt und die Türen von innen verriegelt
hatte, war ich vor weiteren Fragen in Sicherheit. Tolliver ließ sich auf den
Fahrersitz fallen, legte den ersten Gang ein, und die Medienmeute stob
auseinander, um uns fahren zu lassen.
Glücklicherweise
blieben alle beim Revier, in der Hoffnung, von der Polizei oder den SBIlern
weitere Informationen zu bekommen. Wir schafften es, Twylas Haus ungestört zu
erreichen. Nur Twylas Auto stand in der Garage. Wie lange würde es wohl noch
dauern, bis sie ihren Enkel begraben konnte? Als Nächstes kämen der Prozess und
der damit verbundene Medienrummel. Jeff McGraw würde noch lange nicht sanft
ruhen können, nicht in den Augen seiner Angehörigen.
Tolliver hielt
hinter Twylas Wagen, ließ den Motor laufen und stieg wortlos mit dem
Hüttenschlüssel aus. Vielleicht hatte er Angst, ich könnte meine Meinung
bezüglich unserer Abreise doch noch ändern.
Während ich
wartete, tauchte ein Wagen hinter uns auf. Sekunden später klopfte jemand ans
Fenster, und ich ließ es herunter. Pfarrer Doak Garland stand vor mir, ein
Ausbund an Sanftmut und Unschuld.
Er sagte: »So
schnell sieht man sich wieder, Miss Connelly.«
»Hallo. Ich habe
ganz vergessen, Ihnen zu sagen, was für einen tollen Gedenkgottesdienst Sie
gehalten haben. Ich hoffe, Sie haben ordentlich Geld für die Beerdigungen
zusammenbekommen. «
»Gelobt sei der
Herr! Ich glaube, wir haben jetzt um die zwölftausend Dollar zusammen«, sagte
er.
»Das ist ja
großartig!« Ich war wirklich beeindruckt. Das war viel Geld für einen so armen
Bezirk wie Doraville. Geteilt durch die sechs Jungen war das allerdings nicht
viel, nicht bei den heutigen Kosten einer Beerdigung. Aber es war eine große
Hilfe.
Als könne er
Gedanken lesen, sagte Doak: »Drei der Jungen hatten eine Sterbeversicherung und
brauchen demnach kein Geld. Und mit einer Tombola wollen wir noch mindestens
dreitausend Dollar mehr einnehmen. Twyla hat großzügigerweise angeboten, die
Summe, die uns die Tombola einbringt, noch einmal zu verdoppeln.«
»Das ist wirklich
großzügig.«
»Ja, sie ist eine
tolle Frau. Darf ich Ihnen rein neugierdehalber eine Frage stellen, Miss Connelly?«
»Äh... ja.«
»Ich weiß gar
nicht, ob ich jemals in der alten Scheune hinter dem Almand-Haus war. Wo war
der arme junge Mann?«
»Er befand sich in
einer Art - oh, warten Sie, ich darf nicht darüber reden. Tut mir leid, ich
musste es der Polizei versprechen.«
»Nun, es gibt die
wildesten Gerüchte«, sagte er. »Ich wollte endlich mal Fakten hören. Wo ist Ihr
Begleiter?«
»Er kommt gleich
wieder«, sagte ich.
Plötzlich fühlte
ich mich sehr einsam, obwohl ich in einer Auffahrt an einer befahrenen
Landstraße stand. Ich zuckte zusammen und tat so, als vibriere mein Handy.
»Hallo?«, sagte ich und hielt es mir ans Ohr. »Oh, hallo Sheriff. Ja,
ich bin hier bei Twyla und unterhalte mich mit Pfarrer Garland. Er steht direkt
neben mir, wollen Sie ihn sprechen? Nein? Gut.« Ich setzte dem Pfarrer
gegenüber eine entschuldigende Miene auf, er lächelte, winkte und ging auf das
Haus zu. Ich hielt die gespielte Unterhaltung aufrecht, bis er durch die
Hintertür hineingegangen war.
Einerseits kam ich
mir vor wie eine Vollidiotin, andererseits war ich erleichtert, dass er weg
war. Wo blieb Tolliver, verdammt noch mal? Was machte er so lang da drinnen?
Ich drehte mich
zur Seite und schnallte mich ab. Ich würde ins Haus gehen und nachsehen. Ich
hatte wirklich Angst. Ich hatte das dumpfe Gefühl, etwas übersehen zu haben.
Etwas, das den
neunten Jungen betraf, den, der überlebt hatte. Er war identifiziert worden. Er
befand sich in Sicherheit, in einem Krankenhaus in Asheville. Vielleicht würde
er nie über das sprechen können,
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