Harper Connelly 04 - Grabeshauch
mitnehmen lassen. Dein Dad war wirklich sauer auf uns, aber dann hat ihn ein Freund angerufen.
Ich nehme an, der Typ hat Schulden zurückbezahlt oder Dope gekauft. Denn plötzlich beschloss Matthew, Gracie wegzubringen.
Wir hatten kaum noch Zeit, ihre Windeln zu wechseln und ihm zu erklären, wie er den Kindersitz anschnallen muss, bevor er
losfuhr. Er hat sie ins Wadley-Krankenhaus gebracht.«
»Woher weißt du das?«
Ich öffnete die Tür zu unserem Zimmer. »Na, woher wohl? Er hat sie ins Krankenhaus gebracht und sie nach ein paar Wochen wieder
abgeholt. Sie lag auf der Intensivstation, deshalb konnten wir sie nicht besuchen. Er ist bei ihr geblieben. Wieso sollte
das nicht stimmen? Als er sie zurückbrachte, sah Gracie so viel besser aus, dass ich kaum glauben konnte, dass …« Ich erstarrte.
»Dass es Gracie war, stimmt’s?«, sagte Tolliver nach langem Schweigen.
Ich schlug eine Hand vor den Mund. Tolliver ließ sich vorsichtig auf die Sofakante sinken.
Als ich mich aus meiner Erstarrung gelöst hatte, nahm ich auf dem Sessel Platz, und unsere Blicke trafen sich.
»Nein«, sagte ich. »Ich konnte kaum glauben, dass es Gracie war. Ihre Augen waren hellblau, aber nach ihrem Krankenhausaufenthalt
waren sie grün. Ich dachte, sie wäre in das Alter gekommen, in dem Babys ihre eigentliche Augenfarbe entwickeln. Aber Matthew
meinte, die Ärzte hätten ihm empfohlen, ihr wieder die Flasche zu geben, obwohl sie bereits angefangen hatte, Babynahrung
zu essen …«
»Du hast dich mehr um Gracie gekümmert als Cameron.«
»Ja, das stimmt. Cameron hatte in dem Jahr viel um die Ohren. Es war ihr Abschlussjahr, und ich war ohnehin meist zu Hause,
wegen des Blitzschlags.«
»Du hast damals noch sehr an den Nachwirkungen gelitten, oder?«
»Und ob! Noch monatelang. Bevor ich lernte, damit umzugehen. Ich hatte furchtbare Kopfschmerzen, alle möglichen Schmerzen.
Aber für Gracie und Mariella habe ich mein Bestes gegeben«, sagte ich, wie um mich zu verteidigen.
»Natürlich hast du das. Du hast den Laden am Laufen gehalten. Aber was ich sagen will, ist Folgendes: Es gab vielleicht Dinge,
die du nicht bemerkt hast. Eben weil du so viele Probleme hattest und abgelenkt warst, weil du Tote spüren konntest.«
Das war wirklich eine schlimme Zeit gewesen. Teenager können nicht damit umgehen, wenn sie anders sind als ihre Altersgenossen.
»Und du glaubst, dass mir die Veränderungen an dem Baby deshalb nicht aufgefallen sind? Du glaubst, dass Matthew mit dem einen
Baby verschwunden und mit einem anderen zurückgekehrt ist? Du glaubst, dass die echte Gracie tot ist?«
Er nickte. »Es war Chip, der manchmal zum Wohnwagen kam«, sagte er. »Ich bin mir ziemlich sicher, dass er es war. Drex vielleicht
auch, aber Chip mit Sicherheit. Er hat bei meinem Dad Drogen gekauft.«
»Oh mein Gott!«, sagte ich. »Deshalb kamen sie mir irgendwie bekannt vor. Und wenn einer von ihnen Dr. Bowden in jener Nacht zur Ranch gebracht hat und sie das Baby loswerden wollten, ohne es umzubringen …«
»Dann haben sie vielleicht Matthew angerufen, der ein schwer krankes Baby zu Hause hatte, das ohnehin nicht durchkommen würde.«
»Wie konnten sie nur? Wie kamen sie bloß auf die Idee, dass Matthew Babys vertauschen würde? Warum sollten sie überhaupt ein
Interesse daran haben?«
»Wenn das Baby von Rich Joyce und Mariah Parish war, ist es buchstäblich Millionen wert.«
Mir verschlug es einen Moment lang die Sprache. »Aber warum haben sie es dann nicht einfach umgebracht, damit die Millionen
blieben, wo sie waren? Nämlich bei den drei Joyce-Enkeln?«
»Vielleicht wollten sie kein Kleinkind umbringen.«
»Sie waren auch bereit, Mariah sterben zu lassen, obwohl man sie hätte retten können.«
»Es ist ein Unterschied, ob man jemanden sterben lässt oder jemanden umbringt. Ob es sich um eine ziemlich skrupellose Frau
handelt oder um einen Säugling. Außerdem war ihnen vielleicht gar nicht klar, wie schlimm es um Mariah bestellt war.«
Ich schüttelte benommen den Kopf. »Aber wenn das stimmt, was hat Matthew dann mit der echten Gracie, seiner tatsächlichen
Tochter getan? Meinst du, er ist an jenem Abend absichtlich mit ihr verschwunden und hat sie ausgesetzt oder so was?«
»Das weiß ich nicht und möchte es auch lieber gar nicht wissen … obwohl wir das herausfinden sollten«, sagte Tolliver, der plötzlich klang wie ein alter Mann. »Ich frage mich, ob er je
vorhatte, sie
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