Harper Connelly 04 - Grabeshauch
Parks
zusammendrängten, zumindest nicht dort, wo unserer gestanden hatte. Jeder hatte sein eigenes Grundstück. Unser Wohnwagen stand
so auf dem Grundstück, dass sein Heck zur Straße zeigte. Man bog also in eine zerfurchte Auffahrt ein und wendete, um im Vorgarten
zu parken. Ein Vorgarten insofern, als es eine freie Fläche vor dem Wohnwagen gab, allerdings ohne Rasen. Und die Azaleen,
die einmal beidseitig der Betonstufen zum Wohnwagen gestanden hatten, waren zu mickrigen Büschen verkümmert, die keine Pflege
mehr lohnten.
Das wiederzusehen, war merkwürdig. Wir saßen im Auto am Straßenrand und betrachteten alles wortlos. Ein Latino ging vorbei
und starrte uns wütend an. Wir sahen nicht mehr so aus, als gehörten wir hierher.
»Was empfindest du?«, fragte Tolliver.
»Ich spüre keinerlei Leichen«, sagte ich, und mir wurde fast schwindelig vor Erleichterung. »Keine Ahnung, warum ich mich
so davor gefürchtet habe. Wenn hier irgendjemand verscharrt worden wäre, hätte ich es gemerkt, als wir noch hier wohnten.«
Tolliver schloss kurz die Augen und spürte seiner eigenen Erleichterung nach. »Na, das ist doch schon mal was«, sagteer. »Wo sollten wir uns deiner Meinung nach als Nächstes umsehen?«
»Ich weiß gar nicht mehr, warum wir unbedingt herkommen wollten«, sagte ich. »Wohin als Nächstes? Am besten zu Renaldo. Es
ist zwar nicht sehr wahrscheinlich, dass Tammy und er immer noch dort wohnen, aber einen Versuch ist es wert.«
»Weißt du noch, wie man dahin kommt?«
Das war eine gute Frage, und ich brauchte zehn Minuten länger als erwartet, um das heruntergekommene, kleine Mietshaus zu
finden, in dem Renaldo und Tammy zum Zeitpunkt von Camerons Entführung gewohnt hatten.
Ich war nicht überrascht, als mir eine Unbekannte die Tür öffnete. Es handelte sich um eine Afroamerikanerin, die ungefähr
in meinem Alter war und zwei noch nicht schulpflichtige Kinder hatte. Sie machten sich gerade mit Kinderscheren über einen
alten Versandhauskatalog her und bastelten irgendwas. »Schneidet nur aus, was ihr in eurem Haus haben wollt, falls ihr euch
mal eines bauen werdet«, ermahnte die Frau sie, bevor sie sich wieder an mich wandte. »Was kann ich für Sie tun?«, erkundigte
sie sich.
»Ich bin Harper Connelly, und ich habe hier früher ganz in der Nähe gewohnt«, sagte ich. »Mein Stiefvater hatte Freunde, die
in diesem Haus lebten. Vielleicht wissen Sie ja, wo sie hingezogen sind? Es geht um Renaldo Simpkins und seine Freundin Tammy.«
An Tammys Nachnamen konnte ich mich nicht mehr erinnern.
Ihr Gesichtsausdruck änderte sich. »Ja, die kenne ich«, sagte sie. »Sie wohnen in einem anderen Haus, etwa sechs Straßen weiter.
In der Malden Street. Aber das sind üble Leute, wissen Sie.«
Ich nickte. »Ich weiß, aber ich muss mit ihnen reden. Sie sind immer noch zusammen?«
»Ja, obwohl ich nicht verstehe, wie man freiwillig mit Renaldo zusammenbleiben kann. Aber er hatte einen Unfall, und Tammy
kümmert sich um ihn.«
Die Frau warf einen Blick über ihre Schulter, und ich merkte, dass sie es eilig hatte, zu ihren Kindern zurückzukommen.
»Wissen Sie ihre Hausnummer?«
»Nein, aber es ist die Malden Street, etwa ein, zwei Blocks westlich von hier«, sagte sie. »Es ist ein braunes Haus mit weißen
Fensterläden. Tammy fährt einen weißen Wagen.«
»Danke.«
Sie nickte und schloss die Tür.
Ich erstattete Tolliver Bericht, der im Auto geblieben war.
Mit einigen Schwierigkeiten fanden wir ein Haus, das der Beschreibung ähnelte. »Braun« kann vieles bedeuten. Aber wir fanden,
dass ein ungefähr fleischfarbenes Haus noch in die Kategorie Braun gehört. Außerdem stand ein weißes Auto davor.
»Tammy«, sagte ich, als sie die Tür aufmachte. Tammy – die mit Nachnamen Murray hieß, wie mir plötzlich einfiel – war um mehr
als jene acht Jahre gealtert, die seit Camerons Verschwinden vergangen waren. Sie war eine üppige Mulattin mit rotgewelltem
Haar und grellen Outfits gewesen. Jetzt trug sie die Haare ultrakurz und eng an den Kopf gegelt. Tätowierungen bedeckten ihre
nackten Arme. Sie war mager.
»Wer sind Sie?«, fragte sie nicht ohne Neugier. »Kennen wir uns?«
»Ich bin’s, Harper«, sagte ich. »Matthew Langs Stieftochter. Mein Bruder sitzt im Wagen.« Ich zeigte darauf.
»Komm rein«, sagte sie. »Und sag deinem Bruder, dass er mitkommen soll.«
Ich ging zurück zum Wagen und hielt Tolliver die Tür auf.»Sie will, dass wir
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