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Harpyien-Träume

Titel: Harpyien-Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
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nur noch ein paar Tage durchhalten. Wenn ich befürchten muß, daß ich am nächsten Tag nicht wieder hochkomme, werde ich mich in irgendeine abgeschiedene Einöde begeben und dort verscheiden, wie ich es dir ja bereits erklärt habe.«
    »Aber du sollst hier doch eigentlich Hilfe finden! Und diejenigen, die dir helfen sollen, sind wir. Da kannst du doch nicht einfach aufgeben!«
    »Vielleicht nicht«, meinte er und vermied es, Gloha zu widersprechen.
    »Es muß einfach so sein«, sagte sie entschieden. Sie spazierte auf seiner Schulter zu dem Riesenohr hinüber, breitete die Flügel aus und flog ein Stück hinauf, um sein Ohrläppchen zu küssen. Dann kehrte sie wieder zum Boden zurück.
    Nun machte sich jeder nach seiner Art wieder auf den Marsch. Griesbogen machte riesige Schritte und setzte die Füße vorsichtig auf, um keine Häuser oder Bäume zu zertrampeln. Metria löste sich mal an einer Stelle in Rauch auf, um an der nächsten wieder in irgendeiner Gestalt zu erscheinen. Gloha flog in kurzen Etappen. Trent und Mark gingen zu Fuß. Sie wurden von keinen Ungeheuern mehr behelligt. Vielleicht hatte sich bei denen ja inzwischen herumgesprochen, daß eine Gruppe von Reisenden, zu der ein Riese, ein Magier und eine Dämonin gehörten, keine besonders gute Beute versprach.
    Schließlich gelangten sie ins ›Erholungsgebiet für Faune & Nymphen‹. Das stand jedenfalls auf dem Schild am Wegesrand. Es war ein kleiner Berg mit einem See, wo die Faune und Nymphen den ganzen lieben langen Tag vor sich hinspielten. Die Faune besaßen menschliche Gestalt, abgesehen von ihren hübschen kleinen Hörnern und den Ziegenfüßen, während die Nymphen gänzlich von menschlicher Form waren, nur daß sie sich anderes benahmen: Wenn man sie jagte, kreischten sie allerliebst, strampelten mit den Beinen und warfen ihr Haar umher. Und wenn sie erwischt wurden, dann…
    Gloha wandte den Blick ab, besorgt, daß irgendwelche Kinder in der Nähe sein könnten. Doch das war glücklicherweise nicht der Fall, und so fand hier demzufolge auch keine Verletzung der Erwachsenenverschwörung statt, deren Aufgabe es ja war, Kindern interessante Dinge vorzuenthalten. Gloha wußte, daß Prinzessin Ida in dieser Gegend aufgewachsen war; aber die war ja auch zu unschuldig gewesen, um zu wissen, daß sie derlei Aktivitäten gar nicht hätte zu sehen bekommen dürfen. Denn die Faune und Nymphen waren die ganze Zeit damit beschäftigt, den Storch zu rufen. Merkwürdig daran war nur, daß die Störche auf diese ständigen Signale nur selten reagierten, falls überhaupt. Vielleicht wußten sie ja, daß Faune und Nymphen keine Kinder großziehen konnten, weil sie keine Familien hatten. Sie waren unfähig, sich über Nacht an irgend etwas zu erinnern; deshalb gab es auch keine dauerhaften Beziehungen unter ihnen.
    »Ich frage mich, woher dann eigentlich die neuen Faune und Nymphen kommen«, überlegte Gloha nachdenklich, während sie das Geschehen im Erholungsgebiet beobachteten. »Ich meine, wenn die Störche doch gar nicht hier vorbeifliegen…«
    »Ich glaube, sie sind unsterblich«, erwiderte Trent. »Jedenfalls so lange, bis einige wenige unter ihnen sterblich werden. Vergiß nicht, daß auch die Nymphe Juwel erst zu altern anfing, als sie sich verliebte und heiratete.«
    »Juwel war schon immer eine ganz besondere Nymphe«, antwortete Gloha. »Sie hat die Edelsteine in den Boden gepflanzt, damit die Prospektoren sie dort finden konnten. Sie besaß auch eine Seele. Ich glaube, sie konnte sich auch vor ihrer Heirat schon an Dinge erinnern.«
    »Ja, sie war etwas Besonderes. Vielleicht befand sie sich auch auf dem Weg zur Frauwerdung und war deshalb zur Liebe fähig. Jetzt, da sie sich zu Ruhe gesetzt hat, wird eine neue Nymphe aus dieser Region dazu ausgebildet, ihre Aufgabe zu übernehmen, und die fängt zweifellos bald damit an, sich an Dinge zu erinnern. Es könnte übrigens auch sein, daß jeder, der das Erholungsgebiet verläßt, normale menschliche Eigenschaften zu entwickeln beginnt.«
    Mark legte den Totenschädel schräg, blickte mal hierhin, mal dorthin. Metria fiel es auf. »Interessierst du dich etwa dafür, anderen heimlich beim Storchholen zuzusehen?« fragte sie verächtlich.
    »Nein. Ich glaube, für die ist das sowieso bloße Unterhaltung«, erwiderte das Skelett. »Was mir Sorgen macht, ist das augenscheinliche Ungleichgewicht, das unter ihnen zu herrschen scheint.«
    Nun wurden auch die anderen neugierig. »Ungleichgewicht?«

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