Harpyien-Träume
Umgebung schlossen sich ihm an, schließlich auch einige Fluchungeheuer. Zwar nicht die Mehrheit, aber doch eine nicht unbeträchtliche Minderheit. Gloha überlegte, ob Sherlock sie vielleicht nur unterstützte, weil er sie und Trent wiedererkannt hatte, oder weil ihre Koboldhaut so dunkel war wie seine, oder weil ihm das Stück tatsächlich gefallen hatte. Gloha hoffte auf letzteres.
Contumelo schnitt eine Grimasse. »Der Applausmesser meldet, daß eure Bemühungen knapp ausreichend waren. Wir sollten in der Lage sein, euer Stück umzuschreiben und etwas daraus zu machen, das man auch unwissenden Kindern vorführen kann. Jetzt seid ihr frei zu gehen.«
»Wurde auch Zeit, Fluchgesicht«, sagte die Froschprinzessin.
Dann richtete Griesbogen sich langsam auf, bis er eine geduckte Sitzhaltung eingenommen hatte. Er hob den Kuppelrand hoch, stand gänzlich auf und trat aus dem Gebäude. Gloha, Trent und Mark verließen den Bau auf konventionellere Weise. Metria verschwand einfach mit einem unhöflichen Geräusch und hinterließ dabei eine übelriechende Rauchschwade, um die Fluchungeheuer zu ärgern.
Dann sahen sie den Riesen draußen stehen. Er wirkte einsam. »Was ist denn los?« rief Gloha ihm zu.
»Na ja, ich weiß nicht, wo ich hingehen soll«, erwiderte er. »Weder geographisch noch sonstwie.«
»Möchtest du mit uns kommen?« fragte Gloha ohne nachzudenken.
»Aber ja«, willigte er ein. »Ich habe unsere kurze Verbindung genossen und würde sie gern ausweiten. Vielleicht kann ich euch ja noch zu Diensten sein, bevor ich verscheide.«
»Närrin!« ertönte Metrias Stimme mitten in der Luft neben Gloha. »Eines Tages wird dich dein weiches, menschliches Mädchenherz noch in Schwierigkeiten bringen.«
Gloha wußte zwar auch nicht so recht, wie sie mit einem kranken Riesen als Begleiter zu Rande kommen sollten, aber Griesbogen war sehr nett, weshalb sie ihre Impulsivität auch nicht bedauerte. Außerdem war es ja tatsächlich möglich, daß er ihnen behilflich sein konnte, beispielsweise beim Überqueren eines mächtigen Flusses, einer Schlucht oder einer Wüste.
Trent und Mark sagten nichts.
9
Nympho
Sie setzten ihre Reise entlang der unsichtbaren Linie fort, die Crombie ihnen gewiesen hatte, und hielten sich südöstlich des Ogersees. Sie trafen auf eine Reihe alltäglicher Probleme wie Flüsse, Drachen, Klippen und feindselige Bienen, doch mit der großen Hand des Riesen und ein wenig Einfallsreichtum gelang es ihnen, all diese Probleme zu meistern.
Und dann, als sie gerade Ausschau nach einem geeigneten Platz für das Nachtlager hielten, wo es genügend Raum für einen schlafenden Riesen gab, sah Gloha ein Wesen herbeifliegen. Einen Augenblick fürchtete sie schon, es könnte ein Drache oder ein Greif sein, doch dann sah sie, daß es sich um eine Kreuzung handelte. Es war zwar keine richtige Harpyie, dafür stimmte der Körper nicht, aber ein Greif war es auch nicht.
»He!« rief Gloha.
Verblüfft stoppte die Kreatur, dann flog sie davon.
»Warte!« rief Gloha und flog ihr nach. »Ich bin kein Feind! Ich bin ein Mischling. Ein Flügelungeheuer. Genau wie du.«
Die andere Kreatur hielt inne, bis Gloha sie eingeholt hatte. Es stellte sich heraus, daß es sich um ein Weibchen handelte. »Oh, das bist du ja tatsächlich«, sagte sie. »Ich hatte schon Angst, du wärst ein Mensch mit Pfeil und Bogen oder so was.«
Gloha bleib neben ihr schweben. »Nein, ich bin eine einzigartige Kreatur. Ich glaube, das bist du wahrscheinlich auch. Was bist du denn genau?«
»Ich bin halb Mädchen, halb Greif. Mein Name ist Amanda.« Sie errötete leicht. Sie schien etwas jünger zu sein als Gloha. Ihr schulterlanges blondes Haar war mit einem blauem Band zusammengehalten, das zur Farbe ihrer Flügel paßte. »Meine Eltern sind sich an einem Liebesquell begegnet. Sie sprechen nicht viel darüber.«
Das konnte Gloha verstehen. »Ich bin Gloha Kobold-Harpyie.«
Im Schweben gaben sie sich die Hand.
»Ich suche nach meiner Art«, erklärte Amanda. »Aber bisher habe ich noch niemanden gefunden, der genauso ist wie ich. Ich weiß gar nicht, wie ich mich nennen soll.«
»Für mich siehst du wie ein Greifenmädchen aus«, sagte Gloha.
»Ein Greifenmädchen! Wunderschön! Tja, aber jetzt sollte ich wohl lieber nach Hause zurückkehren, bevor meine Mami mich vermißt.«
»Auf Wiedersehen«, rief Gloha, als das Greifenmädchen davonflog. Sie bedauerte es ein wenig, daß es sich nicht als männlicher Flügelkobold erwiesen
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