Harpyien-Träume
wiederholte Gloha. »Ich habe den Eindruck, daß sie es ganz normal machen – immer ein Faun pro Nymphe.«
»Ja, aber sieh doch mal selbst, wie viele Faune noch übrig sind«, versetzte Mark. »Vor jeder Nymphe bilden sich inzwischen regelrechte Warteschlangen von Faunen. Ich hatte eigentlich geglaubt, daß die Geschlechter einigermaßen gleichmäßig verteilt sind. Das scheint aber nicht der Fall zu sein.«
Er hatte recht. Er waren ungefähr dreimal so viele Faune wie Nymphen, was zur Folge hatte, daß die Nymphen sehr viel beschäftigter als die Faune waren. Das schien ihnen zwar nichts auszumachen, die Faune aber wirkten mitunter unfaunisch ratlos. Es war nicht zu übersehen, daß jeder von ihnen es vorgezogen hätte, eine oder mehrere Nymphen für sich allein zu haben.
»Vielleicht sollten wir mal nachfragen«, warf Trent mit einem Lächeln ein.
Also ging Gloha auf den nächsten Faun zu. »Weshalb gibt es hier nicht genauso viele Nymphen wie Faune?«
Er blickte sie an. »Eine winzige, geflügelte, bekleidete Nymphe!« rief er. »Ich wußte gar nicht, daß es euch gibt. Komm und spiel mit mir!« Er griff nach dem Flügelkoboldmädchen.
Mark streckte einen Knochenarm aus, um den Faun daran zu hindern. »Sie ist keine Nymphe«, sagte er. »Nur eine ausländische Besucherin. Beantworte ihre Frage.«
»Och.« Der Faun schluckte seine Enttäuschung herunter. »Tja, ich weiß auch nicht, weshalb es nicht genügend Nymphen gibt.« Er rannte davon, um eine Nymphe zu verfolgen, die vorübergehend frei geworden zu sein schien.
»Das ist natürlich ein Problem«, bemerkte Trent. »Irgend etwas muß hier einer ganzen Anzahl von Nymphen zugestoßen sein, aber sie können sich nicht daran erinnern.«
»Ob ein Drache sie aufgefressen hat?« fragte Gloha entsetzt.
»Drachen und andere Raubtiere machen sich nichts aus dem Geschlecht ihrer Beute«, bemerkte Trent nachdenklich. »Die würden normalerweise ebenso viele Faune wie Nymphen vertilgen. Es muß eine andere Erklärung geben.«
»Menschen, vielleicht«, sagte Metria. »Menschenmänner mögen Nymphen sehr, hab' ich gehört. Während Menschenfrauen nicht so viel für Faune übrighaben.«
»Das stimmt«, bestätigte Trent. »Aber Menschenmänner werden auch davon abgehalten, in dieses Erholungsgebiet einzufallen.«
»Ach, ja?« fragte Gloha. »Wie denn? Ich sehe hier nichts, was sie abhalten könnte.«
»Siehst du denn nicht das Bett da vorn, mitten im Erholungsgebiet?« fragte Trent.
»Ja, aber es ist leer.«
»Es geht darum, wer sich darunter befindet. Ich glaube, Snorty ist dort.«
»Wer?«
»Snorty. Das Ungeheuer unter dem Bett meiner Enkelin Ivy. Er hat den Platz des Drachen Stanley Dampfer eingenommen, und nun beschützt es die Faune und Nymphen. Natürlich kann Snorty bei Tag das Bett nicht verlassen, aber Männer, die hier eindringen, versuchen über kurz oder lang mit ein oder zwei Nymphen darauf Platz zu nehmen, und das ist dann der Augenblick, da Snorty nach ihren Fußknöcheln greift und sie verscheucht.«
»Aber Erwachsene glauben doch gar nicht an Ungeheuer unter dem Bett«, warf Gloha ein.
»Wenn Snorty nach ihnen grabscht, dann schon«, antwortete Trent. »Dieses Gebiet ist etwas Besonderes, wie ja auch die Anwesenheit der Faune und Nymphen beweist. Die haben keine Schwierigkeiten, an Snorty zu glauben, weil sie so kindlich sind. Und weil so viele an ihn glauben, verfügt er über sehr viel mehr Macht, als seine Art normalerweise hat. Ich hab' gehört, daß Snorty ganze Arbeit leistet.«
»Das fällt mir aber schwer zu glauben«, meine Gloha kopfschüttelnd.
»Natürlich, weil du ja auch eine Erwachsene bist. Nur Kinder und alte Leute, die kurz vor dem Verblassen sind, erkennen den Wert, den ein Ungeheuer unter dem Bett haben kann.«
»Ich sehe ihn«, sagte Mark.
»Ich auch«, schloß Metria sich an.
»Ja, aber ihr stammt ja aus dem Reich der Träume und der Dämonen, deshalb zählt ihr nicht.«
»Ich sehe ihn ebenfalls«, sagte Griesbogen und kauerte sich nieder, um sich ihrem Gespräch anzuschließen.
»Riesen zählen auch nicht«, antwortete Trent. »Was diese Sache angeht, zählen nur ganz normale Menschen oder menschenähnliche Personen. Du, Gloha, könntest durchaus daran glauben, wenn du dich nur anstrengst. Denn auf dich trifft diese Beschreibung ja nicht so ganz zu.«
Gloha versuchte es. »Na ja, so ganz schwach kann ich schon daran glauben«, meinte sie.
»Aber wir müssen uns jetzt wichtigeren Dingen widmen«, fuhr Trent
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