Harpyien-Träume
meisten Gefahren beschützen. Deshalb ist die Zeit auch nicht so wichtig. Ich muß allerdings zugeben, daß mir diese Erfahrung selbst Spaß macht, weil sie mich daran erinnert, wie jungen Leuten das normale Leben vorkommt. Wenn ich mit meinen Aufträgen fertig bin, werde ich zu meiner Frau und meinen Freunden z u rückkehren und mein tatsächliches Alter wieder annehmen. Und dann werden wir verblassen, wie geplant. Aber irgendwie drängt es mich nicht so sehr danach wie vorher.«
»Mich drängt es auch nicht sonderlich danach, mich bei Fremden einzuquartieren«, erwiderte Cynthia. »Aber das Ganze ist natürlich nur eine Ablenkung von Glohas Mission. Deshalb sollten wir sie nicht unnötig aufhalten.«
»Machen wir uns nichts vor«, sagte Gloha. »Ich suche nach e i nem männlichen Exemplar meiner eigenen Mischgattung, obwohl es meines Wissens gar keins gibt. Das legt den Verdacht nahe, daß ich um so eher enttäuscht werden dürfte, je schneller ich mit me i ner Mission fertig bin. Deshalb habe ich es auch nicht besonders eilig.«
»Ich könnte ja einen anderen Mann in ein männliches Exemplar deiner Art verwandeln«, schlug der Magier vor. »Vielleicht hat Crombie ja deswegen auf mich gezeigt. In diesem Fall…«
»Nein!« rief Gloha um einiges schärfer, als ihre sorgenvolle kleine Besorgtheit es rechtfertigte. »Das wäre nicht dasselbe. So wie Brai l le und Jana sich auch nicht gegenseitig verwandeln lassen wollten. Wenn du irgendein anderes Lebewesen verwandelst, wäre es nicht als wahres Produkt der Harpyien- und Koboldkultur aufgewac h sen. Es wüßte gar nicht, wie sich so etwas anfühlt. Ich will keinen künstlichen Mann haben!« Und doch blieb da die Spur eines Zwe i fels, denn Gloha erinnerte sich daran, wie angenehm ihr als Fla m menschlinge oder als Pelzknäuel oder als Lungenfisch zumute g e wesen war; mit der äußeren Gestalt hatte sie auch das entspr e chende Gefühlsleben entwickelt. Konnte sie ihre Ablehnung vor dem Hintergrund dieser Erfahrung tatsächlich aufrechterhalten?
»Dann scheint es also keiner von uns besonders eilig zu haben«, meinte Trent. »Und zwar aus Gründen, die uns selbst durchaus genügen. Tja, dann können wir ja weitermachen wie bisher.«
»Ja«, willigte Cynthia ein. »Das behagt mir sehr viel mehr.«
»Mir auch«, bekräftigte Gloha.
Sie hielten sich grob in nördliche Richtung, weil der beste Weg eben darauf bestand. Wurden sie von irgend etwas bedroht, ve r hinderte Trent das Schlimmste, indem er entweder sein Schwert zückte oder die Gefahr in etwas Harmloses verwandelte.
Sie kamen zu einer Kreuzung, an der mehrere Wege wegführten. Dort stand auch ein Schild: MALBRUNNEN STUFENSTEPPE PIER COM-PUTER.
»Ich hab' Durst«, sagte Trent. »Ich würde gern eine Pause einl e gen, um etwas frisches Brunnenwasser zu trinken.«
Cynthia und Gloha waren derselben Meinung. Der Magier hatte zwar unterwegs Wassermelonen herbeigezaubert, doch inzwischen gelüstete es sie nach ganz normalem, natürlichem Wasser.
Also nahmen sie den entsprechenden Weg. Der führte sie zu e i nem runden Steinbau, auf dessen Spitze ein großes flaches Brett lag. Als sie näher kamen, entfaltete sich ein Stab mit mehreren Gelenken vor dem Brett und begann mit schnellen Bewegungen.
Trent fuhr mit der Hand ans Schwert. Doch das merkwürdige Ding wirkte nicht bedrohlich. Es war ganz und gar mit sich allein beschäftigt, was immer es sein mochte. Von Wasser war nirgen d wo eine Spur zu sehen.
Da begriff Gloha, was hier los war. »Es malt ein Bild!« rief sie.
Und tatsächlich – das Ding fertigte gerade eine Skizze von den dreien an: ein Menschenmann, ein geflügeltes Zentaurenfohlen und ein Koboldmädchen mit Flügeln. Es war ein hervorragendes Gruppenporträt in Schwarzweiß.
»Der malt aber gut«, meinte Cynthia.
Das Gerät packte den Rand des Bretts und riß einen Bogen P a pier davon ab. Es warf das Blatt beiseite und begann, Cynthia a l lein zu zeichnen. Offensichtlich konzentrierte es sich auf jeden, der sich bewegte oder etwas sagte, und skizzierte den Betreffenden. Es war ihm gleichgültig, was mit seinen Bildern geschah; es war nur am Malen selbst interessiert.
Trent schüttelte den Kopf. »Ein Schluck ordentlich frisches, kühles Wasser hätte mir eigentlich genügt.«
Das Gerät riß das Zentaurenbild ab und zeichnete eins von Trent, wie er aus einem mit Kälteperlen besetzten Becher voll Wasser trank. Gloha mußte lachen. Und so zeichnete das Ding sie natürlich beim Lachen.
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