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Harpyien-Träume

Titel: Harpyien-Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
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es weh tat, ein Mischling zu sein, der sich weder bei den Kobolden noch bei den Harpyien richtig einfügen ließ. Und so ergab sie sich in Selbstmitleid. Sie hatte ihre Pflege vernachlässigt; ihre Flügelfedern hingen schlaff und faltig herunter, ihre halb geschlossenen, normalerweise strahlenden Augen waren matt, und ihr sonst so wunderschönes blauschwarzes, seidiges Haar hing in salzigen, honigklebrigen, verdrehten Strähnen herab.
    Über ihr flogen Harpyien umher; sie juchzten und warfen mit einem goldenen Koprolithen um sich. Das war ein mit Gold beschichtetes, versteinertes Stück Drachendung, das sie mit den Klauen fingen und weiterwarfen. Wer die ausdauerndste und übelste Schimpfkanonade zum besten geben konnte, bevor die nächste Harpyie den fliegenden Ball abfing, war der Sieger dieser Runde. Harglo liebte dieses Spiel und sehnte sich nach dem Tag, da er daran teilnehmen durfte; Gloha dagegen hatte es gar nicht erst versucht, weil sie nicht einmal über das Verständnis der Grundbegriffe hinaus gelangt wäre, ohne vor Scham zu Tode zu erröten.
    In den Harpyienhöhlen und Koboldhorten waren dies gute Zeiten Xanths, da alles in Richtung mittel bis schlecht lief, statt von schlecht nach schlimmer. Doch von Zeit zu Zeit gab es immer wieder mal einen dämonischen, gräßlichen Tag, und dies schien einer davon zu sein. Anstatt sich also über ihre freie Zeit zu freuen, durchlitt Gloha Xanths allerniedergeschlagenste Stimmung.
    Begonnen hatte alles mit der Dämmerung, die ihre düsteren Nebelschleier gelüftet hatte, um eine mißmutige, rot-äugige Sonne freizugeben, die von zerschundenen Purpurwolken umgeben gewesen war, die es nur auf eins abgesehen hatten, nämlich irgend jemanden mit saurem Regen zu übergießen. Dann war es in der Frühstückshöhle zu dem Fauchen, Winseln, Grunzen und Schreien gekommen, als Glohas Dutzend Tanten sich um die saftigsten, von Blut triefenden rohen Brocken prügelten. Gloha war zwischen ihrer Tante Harributt und der Großen Häuptlingsharpyie dieses Teils des Familienklans eingekeilt gewesen, die einander im gellenden Kreischen übertrafen. Gloha hatte Schwierigkeiten beim Sitzen auf der Stange vorgeschützt, was es ihr ermöglichte, ihren zuckenden Klumpen Wasauchimmer zu einer abseits gelegenen Bank zu bringen, auf der sie, wie man es abfällig zu bezeichnen pflegte, ›nach Menschenart‹ Platz nehmen konnte. Dann hatte irgend jemand versehentlich einen ordentlichen Schwall heißen Kaffee fallen lassen, direkt auf ihren Rücken, obwohl Harpyien doch nie etwas fallenließen, was sie erst einmal in ihren Krallen hielten, es sei denn, absichtlich. So war Gloha gezwungen gewesen, in ihr persönliches Nest zu fliehen, um die Kleider zu wechseln und ihre Brandblase mit Salbe zu behandeln.
    Beim Ankleiden hatte sie sich selbst aufzuheitern versucht. Sie hatte ihr Festtagskostüm angelegt: ein Wams aus Möchtegernleder, Riemen von der Farbe geschmolzenen Goldes, mit sanftgoldenen Glocken zu einem melodischen Muster verwoben, dazu eisige Kristallsterne. Etwas Schönes zum Anziehen hob immer Glohas Stimmung, doch hatte ihre Lehrerin Elster sie eigentlich dazu ermahnt, die Sachen nicht anzuziehen, weil Harpyien eben keine Kleider trugen und sie sich damit nur lächerlich machen würde.
    »Die finden mich doch sowieso schon lächerlich!« hatte sie protestiert.
    »Unsinn. Du hast einfach noch nicht deinen richtigen Platz gefunden.«
    »Was verstehst du schon davon?« hatte Gloha sich aufgeregt. »Du bist ja noch nicht mal eine Harpyie! Nur eine unwahrscheinlich gütige Dämonin.«
    »Aber ich habe mit einer Vielzahl von Sterblichen gearbeitet«, erwiderte Elster mit einer Gelassenheit, wie sie Sterblichen unmöglich gewesen wäre. »Okra Ogerin hielt ihr Leben für überflüssig, und heute ist sie eine Hauptfigur. Rose von Roogna glaubte, daß sie niemals einen guten Ehemann finden würde, und dann hat sie den Guten Magier geheiratet und mit ihm zusammen eine wunderschöne Tochter bekommen. Ich könnte noch andere auflisten.«
    Gloha wußte, daß Elster das konnte. Elend lange. Deshalb bat sie Elster lieber nicht darum. Statt dessen entschied sie sich für Trick Nr. 15: ein furchtbarer kleiner Wutkoller. »Sag mir gefälligst nicht, was ich zu tun habe!« kreischte sie mit, rollte mit den Augen und stampfte mit dem Fuß auf. Ihr Auftritt erschreckte zahlreiche Vögel in der Nähe, die daraufhin davonstoben, um sich unter dem Bett zu verstecken, wo sie das schlummernde Ungeheuer

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