Harrison, Kim - Hollows 7 - Blutkind
alles genommen.«
»Alles wird gut«, sagte ich, als ich ein Hinweisschild zur Brücke sah. »Er kommt. Wir sind fast da.«
Sie schwieg, dann erklang ein raues: »Bist du okay?«
Überrascht schaute ich sie an. Sie machte sich Sorgen um mich? »Mir geht’s prima«, sagte ich und drückte auf die Hupe, um einen Kerl davon abzuhalten, vor mir in die Spur einzufah-ren. Er trat auf die Bremse, und nachdem ich ihm seitlich aus-gewichen war, sah ich sie mit gerunzelter Stirn an. »Ivy, warum hast du das getan? Du hättest sie gehen lassen sollen. Sie ist eine verdammte Banshee!«
»Das war mein Fehler«, keuchte sie, und ihr Blick senkte sich auf die Münze, die sie immer noch umklammerte. »Mia, Remus, alles. Es war mein Fehler, dass Mia gelernt hat, wie man ungestraft Leute töten kann. Und sie hat dir wehgetan. Ich werde mich darum kümmern. Du darfst dich nicht mehr in Gefahr bringen.«
»Du willst dich allein darum kümmern?«, fragte ich fassungslos. »Das ist mindestens so sehr mein Fehler wie deiner.
Ich habe dir überhaupt erst den Wunsch gegeben. Wir werden sie zusammen erwischen, Ivy, nicht einer allein. Wir müssen das zusammen machen.« Wem erzähle ich das? Es würde einen Dämon brauchen, um eine Banshee zu überwältigen. Aber eigentlich …
Sie sagte nichts, aber hinter ihrem Hunger sah ich Entschlossenheit. Ich drehte die Heizung an, und ein Schwall warmer Luft drang heraus. In der Entfernung sah ich ein entgegen-kommendes Auto aufblenden. Fast schmerzhafte Erleichterung breitete sich in mir aus. Ich konnte an der Höhe und Größe der Lichter erkennen, dass es ein Hummer war. Sie waren es. Sie mussten es sein. »Ich sehe sie!«, rief ich, und Ivy versuchte zu lächeln. Sie hatte die Zähne zusammengebissen, und in ihren Augen lag ein wilder Ausdruck. Es zerriss mir das Herz, ihre 455
verheulten, schmerzerfüllten Augen zu sehen, während sie kämpfte.
Linkisch blendete ich auch auf und fuhr bei einem FastFood-Restaurant an den Straßenrand. Zwei Autos hielten hinter mir, schwarz unter den Laternen. Ich hielt an. Ich trampelte nicht auf die Bremse, war aber nah dran. Bevor ich auch nur den Gang rausnehmen konnte, waren schon zwei Männer an Ivys Tür. Ich hörte das Knacken von Metall, und dann schwang die Tür mit zerbrochenem Schloss auf.
Vampirisches Räucherwerk ergoss sich ins Auto, und mit einem wilden Geräusch sprang Ivy auf den Mann zu, der sich hi-nunterbeugte, um sie hochzuheben. Ich wandte mich weinend ab. Ich hörte ein Stöhnen, und als ich wieder hinsah, half der zweite Mann dem ersten dabei, Ivy zu dem schwarzen Hummer zu tragen. Sie hing an seinem Hals, Blut tropfte ihr über die Lippen. Der zweite Mann öffnete die Tür für sie, und Ivy und der Mann, den sie umklammerte, verschwanden im Innenraum.
Der andere drehte sich kurz mit unlesbarer Miene zu mir um, dann folgte er ihnen und schloss die Tür hinter sich.
Der Schnee fiel zwischen die Autos, und ich saß da, mit offener Beifahrertür, starrte durch meine Windschutzscheibe und weinte. Ivy musste in Ordnung kommen. Sie musste sich erholen. Das ist alles so verkorkst .
Ein sanftes Klopfen an meinem Fenster ließ mich aufsehen, und ich entdeckte Rynn Cormel vor meiner geschlossenen Tür.
Er hatte gegen die Kälte den Kragen seines Kaschmirmantels hochgeklappt, und auf seinem Hut lagen bereits die ersten Flocken. Er sah gut aus, wie er dort stand, aber die Erinnerung an seine Gefühllosigkeit mir - eigentlich mir und Ivy - gegenüber war noch zu frisch, um darauf hereinzufallen. Er war ein Tier, und jetzt verstand ich, was Ivy gemeint hatte, als sie sagte: »Er ist nur ein Vampir.«
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Obwohl er wohlhabend, mächtig und attraktiv war, war er nichts, weil er niemandes Liebe oder Zuneigung wert war. Ich würde Ivy nicht erlauben, so zu werden.
Ich wischte mir über die Nase und rollte mein Fenster nach unten. Innerlich war ich taub.
Rynn Cormel lehnte sich vor. Als er mich in meinem Zustand sah, zog er ein Taschentuch aus der Innentasche seines Mantels und gab es mir. »Warum haben Sie sich nicht einfach von ihr beißen lassen, statt dieses ganze Drama zu veranstalten?«, fragte er, und sein Blick glitt kurz zum Hummer. »Sie braucht einfach nur Blut.«
Egal, ob er ein Tier war oder nicht, ich musste ihn immer noch mit Respekt behandeln. »Sie will das nicht«, sagte ich, benutzte das Taschentuch und legte es zur Seite. Er würde es vielleicht zurückwollen, nachdem ich es gewaschen hatte. Vielleicht. »Sie will ihre
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