Harrison, Kim - Hollows 7 - Blutkind
Komplimente für etwas bekam, was für mich sozial nicht zu verantworten war, stank gewaltig. Geschwisterrivalität ist echt beschissen.
Mit Marshal hier konnte ich zumindest so tun als ob. Sowohl Mom als auch Robbie waren beeindruckt, dass er gerade sein Geschäft mit genug Gewinn verkauft hatte, um durch seinen 189
Master zu kommen, ohne arbeiten zu müssen. Die Schwimm-Coach-Sache machte er nur, um damit seine Gebühren zu senken und sich mehr verfügbares Einkommen zu verschaffen. Ich hatte gehofft, dass er inzwischen etwas wegen meines zurück-geschickten Schecks gehört hätte, aber anscheinend arbeitete in der Winterpause so gut wie niemand.
Meine Mutter schlug Robbie für den Schleimerkommentar kurz auf die Schulter, dann zeigte sie Marshal, wo die Gläser hinkamen, und arrangierte die letzten Sonnwend-Plätzchen auf einem Teller. Die runden Zuckerkekse leuchteten in Sonnwend-Grün und -Gold und waren mit Glücksrunen verziert.
Meine Mom machte alles, was sie anpackte, mit Leidenschaft.
Sobald sie sich wieder umgedreht hatte, drohte Robbie mit einer weiteren Wasserfontäne. Ich schloss meine Augen und ignorierte ihn. Ich hatte den ganzen Abend versucht, ihn mal allein zu erwischen, um ihn nach dem Buch zu fragen, aber mit Marshal und meiner Mutter dabei war es mir nicht gelungen.
Ich würde um Hilfe bitten müssen. Marshal war zwar nicht von Natur aus verschlagen, aber er war auch nicht gerade schwer von Begriff.
Mit einem fröhlichen Summen glitt meine Mutter mit dem Plätzchenteller aus dem Raum. Die Musikanlage im Wohnzimmer ging an, und ich zog eine Grimasse. Ich hatte vielleicht dreißig Sekunden. Höchstens.
»Marshal«, sagte ich und flehte ihn mit den Augen an, als ich ihm einen Teller in die Hand drückte. »Ich möchte dich um einen Gefallen bitten. Ich werde dir nachher alles erklären, aber könntest du meine Mom mal für zehn Minuten beschäftigen?«
Robbie hielt in der Bewegung inne und schaute mich an.
»Was ist, Glühwürmchen?«
Meine Mom kam zurück, und Robbie folgte den Verhal-tensmustern, die wir als Kind entwickelt hatten - er drehte sich wieder um und tat so, als hätte ich nichts gesagt.
190
»Bitte …«, flüsterte ich Marshal zu, als er den Teller weggeräumt hatte. »Ich muss mit Robbie über etwas sprechen.«
Ohne etwas zu bemerken machte sich meine Mom an der Kaffeemaschine zu schaffen. Sie wirkte klein neben Robbie und mir.
»Marshal«, sagte Robbie, und seine Augen funkelten, als er mich hinter Moms Rücken ansah. »Du siehst müde aus wie ein toter Karpfen. Rachel und ich können hier fertig machen. Warum setzt du dich nicht ins Wohnzimmer und wartest auf den Kaffee? Du kannst dir ja ein paar Fotoalben anschauen.«
Sofort wurde meine Mutter fröhlich. »Was für eine fantastische Idee! Marshal, du musst die Fotos sehen, die wir in unserem letzten Sommerurlaub gemacht haben. Rachel war zwölf und wurde gerade erst etwas kräftiger«, sagte sie und nahm ihn am Ellbogen. »Und Rachel wird uns den Kaffee bringen, wenn sie hier fertig ist.« Mit einem Lächeln drehte sie sich zu mir um. »Trödelt nicht zu sehr, ihr zwei«, sagte sie, aber das Träl-lern in ihrer Stimme ließ mich zögern. Sie wusste, dass wir sie loswerden wollten. Meine Mom war vielleicht verrückt, aber sie war nicht dämlich.
Ich schob meine Hände in das warme Wasser und zog eine tropfende Vorlegplatte heraus. Nach kurzer Zeit erklang aus dem Wohnzimmer Marshals tiefe Stimme. Das Abendessen war schön gewesen, aber eben auch fast schmerzhaft, weil ich zuhören musste, wie Robbie fast ausschließlich über Cindy sprach und meine Mom sich einschaltete, um von ihren zwei Wochen dort zu erzählen. Ich war eifersüchtig, aber irgendwie schien es, als wäre jeder, der mir etwas bedeutete, entweder tot, verkorkst oder verletzt worden. Alle außer Ivy und Jenks, und bei ihnen war ich mir nicht ganz sicher, was die Verkorkstheit anging.
»Also, was ist?«, fragte Robbie und ließ das Besteck so fallen, dass das Wasser aufspritzte.
191
Schweigend wischte ich mir mit einer Hand über das Kinn. Und hier stehe ich nun und will versuchen, einen Geist wieder auferstehen zu lassen . Vielleicht konnte ich mit einem Geist befreundet sein. Ich konnte ihn zumindest nicht mehr umbringen. »Erinnerst du dich an das Buch, das du mir mal zur Wintersonnenwende geschenkt hast?«, fragte ich.
»Nein.«
Ich schaute auf, aber er wich meinem Blick aus. Er hatte die Zähne zusammengebissen, was sein langes Gesicht
Weitere Kostenlose Bücher