Harry Bosch 02 - Schwarzes Eis
Treppenhaus gelangte er in den zweiten Stock, zu den R ä umen von Raub-Mord. Da es schon nach f ü nf Uhr war, waren die meisten der in drei Reihen aufgestellten Schreibtische unbesetzt. Auch Sheehan sa ß nicht mehr da. Einige der anwesenden Detectives sahen auf, aber schauten dann weg. Sie hatten kein Interesse an Bosch. F ü r sie war er ein warnendes Beispiel, was passieren konnte, wie leicht man fallen konnte.
» Befindet sich Sheehan noch im Haus? « fragte er den weiblichen Detective vorne am Bereitschaftstisch. Anrufe beantworten, Meldungen entgegennehmen und sonst noch anfallenden Mist erledigen, das war ihr Job.
» Hat Feierabend gemacht «, antwortete sie, ohne vom Urlaubsplan, den sie gerade ausf ü llte, aufzublicken. » Hat vor ein paar Minuten von der Gerichtsmedizin angerufen und Code Sieben bis zur Fr ü hschicht angemeldet.«
» Gibt es hier einen Schreibtisch, den ich kurz benutzen kann. Ich mu ß ein paar Anrufe t ä tigen.«
Nach acht Jahren Dienst in diesem Raum ging es ihm m ä chtig gegen den Strick, nach Erlaubnis fragen zu m ü ssen.
» Such dir einen aus.« Sie sah immer noch nicht auf.
Bosch setzte sich an einen einigerma ß en aufger ä umten Schreibtisch. Er w ä hlte die Nummer des Mordtisches in Hollywood und hoffte, da ß noch jemand da war. Karen Moshito meldete sich, und Bosch fragte, ob jemand eine Nachricht f ü r ihn hinterlassen hatte.
» Nur ein Anruf. Sylvia – kein Nachname.«
W ä hrend er die Nummer aufschrieb, f ü hlte er, wie sein Pulsschlag schneller wurde.
» Hast du das von Moore geh ö rt? « wollte Moshito wissen.
» Was meinst du, die Identifizierung. Ja, hab’ ich.«
» Nein. Die Autopsie ist den Bach runter. Im Radio wurde gesagt, sie habe kein schl ü ssiges Ergebnis erbracht. Ich habe noch nie geh ö rt, da ß eine Schrotladung ins Gesicht nicht schl ü ssig ist.«
» Wann wurde das gemeldet? «
» Gerade eben, um f ü nf auf KFWB.«
Nach dem Ende des Gespr ä chs w ä hlte Bosch wieder Porters Nummer. Wieder wurde nicht abgenommen – auch kein Anrufbeantworter schaltete sich ein. Harry fragte sich, ob der kaputte Bulle zu Hause war und einfach nicht ans Telefon ging. Er stellte sich vor, wie Porter mit einer Flasche in einer Ecke des dunklen Raumes sa ß und sich weder an die T ü r noch ans Telefon traute.
Vor ihm lag die Nummer, unter der er Sylvia Moore anrufen sollte. Er fragte sich, ob sie von der Autopsie erfahren hatte. Wahrscheinlich handelte es sich darum. Nach dem dritten Klingeln hob sie ab.
» Mrs. Moore? «
» Sylvia.«
» Ich bin’s, Harry Bosch.«
» Ich wei ß .«
Mehr sagte sie nicht.
» Wie halten Sie das Ganze durch? «
» Ich schaff’s … Ich habe angerufen, um mich bei Ihnen wegen letzter Nacht zu bedanken. Wie Sie sich verhalten haben – mir gegen ü ber.«
» Nun, Sie haben nicht … Es war …«
» Erinnern Sie sich an das Buch, von dem ich Ihnen gestern erz ä hlte? «
» Der lange Abschied? «
» Es gibt einen anderen Satz, an den ich heute dachte. ›Edle Ritter laufen mir so selten ü ber den Weg wie fette Brieftr ä ger.‹ Ich glaube, heutzutage gibt es eine Menge fetter Brieftr ä ger.« Ihr Lachen war verhalten, fast so wie ihr Weinen. » Aber nicht so viele edle Ritter. Letzte Nacht waren Sie einer.«
Bosch wu ß te nicht, was er sagen sollte, und versuchte nur, sie sich am anderen Ende des Schweigens vorzustellen.
» Das ist nett von Ihnen. Aber ich wei ß nicht, ob ich es verdiene. Was ich manchmal im Beruf tun mu ß , adelt mich nicht gerade.«
F ü r einige Momente gingen sie zu Smalltalk ü ber und sagten dann good-bye. Nach dem Ende des Gespr ä chs blieb er ruhig sitzen und starrte das Telefon an; ihm ging das Gesagte und Nichtgesagte durch den Kopf. Es gab etwas – eine Verbindung. Etwas mehr als der Tod ihres Mannes, mehr als ein Fall. Es gab eine Beziehung.
Im Notizbuch schlug er die Seite mit der chronologischen Liste auf, die er vor kurzem gemacht hatte.
9. Nov. Dance verhaftet
13. Nov. Jimmy Kapps tot
4. Dez. Treffen: Moore/Bosch
Er begann andere Dateien und Fakten hinzuzuf ü gen, auch solche, die im Moment nicht dazu zu passen schienen. Aber er war von der Gewi ß heit erf ü llt, da ß die F ä lle zusammenhingen und da ß das Bindeglied Calexico Moore war. Erst als er die Daten zusammengestellt hatte, betrachtete er die Liste als Ganzes. Die ungeordneten Gedanken, die seit zwei Tagen in seinem Kopf herumschwirrten, bekamen einen Kontext.
1. Nov. BANG-Memorandum
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