Harry Bosch 02 - Schwarzes Eis
hungrig? Wir k ö nnen zu Gorky’s oder zur Pantry.«
» Okay! Hat Gorky’s noch offen? Ich habe Appetit auf Suppe.«
Es dauerte f ü nfzehn Minuten, um acht Blocks im Downtown-Verkehr zur ü ckzulegen und einen Parkplatz zu finden. Als sie endlich im Gorky’s sa ß en, bestellten sie hausgebrautes russisches Bier und eine H ü hnersuppe mit Reis f ü r Teresa.
» Langer Tag, was? «
» Oh, ja.« Sie reagierte auf das Stichwort. » Kein Mittagessen. Ich war f ü nf Stunden im Autopsiesaal.«
Bosch wollte unbedingt mehr ü ber Moore h ö ren, aber er konnte nicht einfach mit einer Frage herausplatzen. Er mu ß te sie dazu bringen, von sich aus zu erz ä hlen.
» Wie war Weihnachten? Warst du mit deinem Mann zusammen? «
» Es hat ü berhaupt nicht geklappt. Meinen Beruf konnte er noch nie akzeptieren, und jetzt, wo ich die Chance habe, bef ö rdert zu werden, ist es noch schlimmer. Heiligabend ist er weg. Weihnachten habe ich allein verbracht. Ich hatte vor, heute mein Anw ä ltin anzurufen, damit sie die Bearbeitung der Scheidungspapiere wieder aufnimmt, aber ich war zu besch ä ftigt.«
» Du h ä ttest mich anrufen sollen. Ich habe Weihnachten mit einem Kojoten gefeiert.«
» Ah, Timido kreuzt immer noch auf? «
» Ab und zu. Es gab ein Feuer auf der anderen Seite des Passes. Ich glaube, es hat ihn verschreckt.«
» Ja, ich habe davon gelesen. Du hattest Gl ü ck.«
Bosch nickte. Seit vier Monaten hatten sie eine Art Beziehung. Jedesmal, wenn sie sich trafen, entstand Intimit ä t, aber es blieb eine oberfl ä chliche Bequemlichkeitsaff ä re, die auf k ö rperlichen, nicht emotionalen Bed ü rfnissen beruhte. Tiefe Leidenschaft war bei ihnen beiden nicht entfacht worden. Sie hatte sich in diesem Jahr von ihrem Mann, einem Professor an der medizinischen Fakult ä t von UCLA, getrennt und sich anscheinend Harry als Objekt ihrer z ä rtlichen Gef ü hle ausgesucht. Aber er wu ß te, da ß er f ü r sie nur eine zweitrangige Ablenkung darstellte. Ihre Beziehung war sporadisch, meistens sahen sie sich wochenlang nicht, wobei Harry die Initiative ganz ihr ü berlie ß .
Er sah ihr zu, wie sie auf einen L ö ffel Suppe blies und dann vorsichtig schl ü rfte. Sie hatte braun gelocktes Haar, das ihr bis auf die Schultern fiel. Wenn sie sich ü ber die Suppe beugte, hielt sie es mit einer Hand zur ü ck. Ihre Hautfarbe war ein nat ü rliches Braun, und ihre hohen Wangenknochen unterstrichen die exotische Form ihres Gesichts. Ihre vollen Lippen waren rot geschminkt, und auf ihren Wangen war eine Andeutung von wei ß em Flaum zu sehen.
Sie war Mitte drei ß ig, aber er hatte sie nie nach ihrem genauen Alter gefragt. Als letztes fielen ihm ihre Fingern ä gel auf. Sie waren unlackiert und kurz, so da ß sie nicht die Gummihandschuhe zerrissen, die sie t ä glich bei der Arbeit trug.
W ä hrend er das starke Bier aus dem Steinkrug trank, fragte er sich, ob das der Anfang einer neuen Kurzaff ä re war oder ob sie ihm wirklich etwas Wichtiges ü ber die Autopsie von Juan Doe #67 zu berichten hatte.
» Ich brauche jetzt also eine Verabredung f ü r Silvester.« Zum Sprechen sah sie auf von der Suppe. »Was guckst du? «
» Ich sehe dir nur zu. Du brauchst eine Verabredung? Kein Problem. In der Zeitung steht, Frank Morgan spielt im Catalina.«
» Wer ist das, und was spielt er? «
» Wart’s ab. Er wird dir gefallen.«
» Dumme Frage. Wenn er dir gef ä llt, dann spielt er Saxophon.«
Harry l ä chelte. Er war froh, eine Verabredung zu haben. Silvester allein zu verbringen, machte ihm mehr zu schaffen als Weihnachten oder Thanksgiving. Silvester war eine Nacht f ü r Jazz, und das Saxophon zerri ß einem das Herz, wenn man allein war.
» Harry, du l äß t dich von einsamen Damen zu leicht um den kleinen Finger wickeln «, scherzte sie.
Er dachte an Sylvia Moore und ihr trauriges L ä cheln. » Also.« Teresa bemerkte, wie er in Gedanken war. » Du willst sicher was ü ber Juan Doe #67 und die Insekten h ö ren.«
» I ß zuerst die Suppe! «
» Das macht mir nichts. Im Gegenteil, wenn ich den ganzen Tag Leichen zers ä gt habe, habe ich einen tollen Appetit.« Sie l ä chelte frech. Solche Bemerkungen machte sie, um ihn zu provozieren, etwas Negatives ü ber ihre T ä tigkeit zu sagen. Die Geschichte mit ihrem Mann war noch nicht zu Ende. Es spielte keine Rolle, was sie sagte. Er verstand sie.
» Hoffentlich vermi ß t du nicht die Messer, wenn du bef ö rdert bist. Dann mu ß t du Einschnitte am Etat
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