Harry Bosch 03 - Die Frau im Beton
gegnerischen Partei zu sehen, aber er tat es. Sie war jedoch nicht da. Ein Mann, den Harry nicht kannte, saß neben der Klägerin.
Als er zu dem Tisch des Beklagten ging, sah Bosch einige Reporter, darunter Bremmer, die schon im Gerichtssaal saßen.
»Wer ist das?« fragte er Belk, und deutete zu dem Mann am Klägertisch.
»Dan Daly. Keyes hat ihn sich auf dem Flur geschnappt, damit jemand während der Urteilsverkündigung bei ihr sitzt. Chandler ist anscheinend immer noch spurlos verschwunden. Sie können sie nicht finden.«
»Ist jemand zu ihrem Haus gefahren?«
»Ich weiß nicht. Ich nehme an, sie haben angerufen. Was kümmert Sie’s. Sie sollten sich wegen des Urteils Sorgen machen.«
Richter Keyes kam in diesem Moment und nahm seinen Platz ein. Er nickte der Gerichtsdienerin zu, und sie ließ die Geschworenen herein. Während die zwölf hereinkamen, sah keiner von ihnen Bosch an, aber fast alle schauten zu dem Mann, der neben Deborah Church saß.
»Meine lieben Leute«, begann der Richter, »Ms. Chandler ist weiterhin wegen Terminüberschneidungen verhindert. Mr. Daly, ein ausgezeichneter Rechtsanwalt, hat sich bereit erklärt, sie zu vertreten. Wie mir der Marshal gesagt hat, sind Sie zu einem Urteil gekommen.«
Mehrere Köpfe nickten. Endlich bemerkte Bosch einen Geschworenen, der ihn ansah. Aber dann schaute er wieder weg. Bosch fühlte, wie sein Herz pochte. Er war sich nicht sicher, ob es wegen der bevorstehenden Urteilsverkündigung war oder wegen Honey Chandlers Verschwinden. Oder aus beiden Gründen.
»Kann ich die Urteilsformulare bitte haben?«
Der Vorsitzende der Jury gab dem Marshal einige Blätter, der sie der Gerichtsdienerin überreichte, die sie wiederum dem Richter aushändigte. Es war ein nervenaufreibendes Schauspiel. Der Richter setzte sich eine Lesebrille auf und nahm sich dann Zeit beim Durchlesen der Formulare. Endlich überreichte er die Blätter der Gerichtsdienerin und sagte: »Verkünden Sie das Urteil.«
Die Gerichtsdienerin las es zur Probe erst einmal für sich durch und begann dann.
»In dem oben bezeichneten Rechtsstreit, ob der Beklagte, Hieronymus Bosch, Norman Church seiner Bürgerrechte beraubte, die ihn vor unberechtigter Durchsuchung und Festnahme schützen, entscheiden wir für die Klägerin.«
Bosch rührte sich nicht. Er sah hinüber und stellte fest, daß alle Geschworenen jetzt ihn anschauten. Dann wandte er seinen Blick Deborah Church zu und sah, wie sie nach dem Arm des Mannes griff, der neben ihr saß und lächelte. Sie drehte sich um und schaute ihn triumphierend an. Belk faßte ihn am Arm.
»Machen Sie sich keine Sorgen«, flüsterte er. »Die Höhe des Schadensersatzes ist das Entscheidende.«
Die Gerichtsdienerin fuhr fort.
»Die Jury erkennt hiermit der Klägerin einen Schadensersatz in Höhe eines Dollars zu.«
Bosch hörte wie Belk jubilierend »Ja!« flüsterte.
»Der Klägerin ist vom Beklagten außerdem ein Strafgeld in Höhe eines Dollars zu zahlen.«
Belk flüsterte wieder »Ja!«, aber diesmal laut genug, um auf den Zuschauerbänken gehört zu werden. Bosch blickte zu Deborah Church hinüber und sah, wie ihr triumphierendes Lächeln erstarb und ihr Blick starr wurde. Es kam Bosch alles so unwirklich vor, als würde er einem Schauspiel beiwohnen, aber selbst mit auf der Bühne stehen. Das Urteil hatte keine Bedeutung für ihn. Er beobachtete nur alle anderen.
Richter Keyes begann der Jury seinen Dank auszusprechen und sagte ihnen, daß sie ihre sich aus der Verfassung ergebenden Pflichten erfüllt hätten und daß sie stolz sein sollten, gedient zu haben und Amerikaner zu sein. Bosch schaltete ab und saß einfach da. Er dachte an Sylvia und wünschte, er könnte sie benachrichtigen.
Der Richter schlug mit dem Hammer auf den Tisch, und die Jury verließ zum letzten Mal den Saal. Dann ging der Richter selbst, und Bosch schien es, als ob er einen verärgerten Gesichtsausdruck hatte.
»Harry«, sagte Belk. »Das ist ein verdammt gutes Urteil.«
»Ist es das? Ich weiß nicht.«
»Nun, es ist gemischt. Aber im wesentlichen haben die Geschworenen festgestellt, was wir schon zugegeben hatten. Daß es ein Fehler war, einfach in die Wohnung zu gehen, aber daß Sie schon von der Polizei deswegen gerügt wurden. Die Jury hat entschieden, daß Sie von Rechts wegen nicht die Tür so einfach hätten eintreten dürfen. Indem sie der Klägerin jedoch nur die Gesamtsumme von zwei Dollar zusprachen, haben sie ausgedrückt, daß sie Ihnen Glauben
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