Harry Bosch 03 - Die Frau im Beton
viele verschiedene Haarproben hatten, entschlossen wir uns, sie bis zur Festnahme eines Verdächtigen beiseitezulegen. Wir hätten sie dann als Be- beziehungsweise Entlastungsmaterial verwendet.«
»Ich verstehe. Haben Sie dann, nachdem Norman Church erschossen und als Puppenmacher identifiziert worden war, ihm irgendwelche Haare zuordnen können?«
»Nein, das konnten wir nicht.«
»Und warum nicht.«
»Weil Mr. Church sein Körperhaar rasiert hatte. Es waren keine Schamhaare vorhanden, die man hätte vergleichen können.«
»Warum hat er das getan?«
Chandler erhob Einspruch mit der Begründung, daß Amado nicht für Church antworten könne, und der Richter gab ihm statt. Aber Bosch wußte, daß das wirkungslos war. Jeder im Gerichtssaal wußte, warum Church sich rasiert hatte – um keine Schamhaare als Beweismaterial zurückzulassen.
Bosch sah zur Jury hinüber. Zwei Frauen schrieben in den Notizheften, die sie bekommen hatten, um wichtige Aussagen zu notieren. Er war in der Stimmung, Belk und Amado – zu einem Bier einzuladen.
7
Es sah aus wie eine Torte in einer Schachtel, wie eine dieser Gag-Kreationen, die Marylin Monroe darstellen sollten. Der Anthropologe hatte beige Hautfarbe sowie roten Lippenstift aufgetragen und ihr blaue Augen gegeben. Für Bosch sah alles wie Buttercreme aus. Zusätzlich hatte man ihr eine wellige, blonde Perücke aufgesetzt. Er sah auf die Gipsmaske hinunter und fragte sich, ob sie wirklich irgend jemandem ähnlich sah.
»Fünf Minuten bis Sendebeginn«, verkündete Edgar.
Er saß auf seinem Stuhl, den er zum Fernseher auf den Karteischränken gedreht hatte. In der Hand hielt er die Fernbedienung. Sein blaues Anzugjackett hing ordentlich auf einem Bügel am Garderobenständer am Ende des Tisches. Bosch zog seine Jacke aus und hängte sie an einen der Haken. Er sah in seinem Brieffach nach Nachrichten und setzte sich dann auf seinen Platz am Mord-Tisch. Sylvia hatte angerufen, sonst war nichts Wichtiges dabei. Er wählte ihre Nummer, als die Sendung auf Kanal 4 begann. Er kannte die Nachrichtenprioritäten in dieser Stadt gut genug, um zu wissen, daß der Report über die Beton-Blondine nicht an erster Stelle kam.
»Harry, die Leitung muß frei sein, sobald sie die Story bringen«, sagte Edgar.
»Es dauert nur eine Minute. Sie werden es nicht gleich zeigen. Falls sie es überhaupt zeigen.«
»Sie werden es bringen. Ich habe mit allen geheime Vereinbarungen. Die glauben alle, sie bekommen die Exklusivnachricht, falls wir sie identifizieren. Sie sind alle auf die Heulstory mit den Eltern scharf.«
»Du spielst mit dem Feuer, Mann, wenn du solche Versprechungen machst. Wenn Sie herausfinden, daß du sie an der Nase …«
Sylvia nahm ab.
»Hallo, ich bin’s.«
»Wo bist du?«
»Im Büro. Wir müssen hier eine Weile bei den Telefonen sitzen. Das Gesicht der Leiche von gestern wird heute abend im Fernsehen gezeigt.«
»Wie war’s im Gericht?«
»Die Klägerseite hat im Moment das Steuer in der Hand. Aber ich glaube, wir haben ein paar Treffer gelandet.«
»Ich habe die Times in der Mittagspause gelesen.«
»Ja, ich glaub’, ungefähr die Hälfte davon stimmt.«
»Kommst du heute abend, wie du versprochen hast?«
»Ja, irgendwann. Nicht sofort. Ich muß jetzt helfen, Anrufe zu beantworten, und dann kommt es darauf an, wie das Echo ist. Wenn es bloß Müll ist, komme ich bald.«
Er merkte, daß er seine Stimme gesenkt hatte, damit Edgar nichts von dem Gespräch mitbekam.
»Und falls ihr gute Hinweise bekommt?«
»Wir werden sehen.«
Sie atmete tief durch, dann Schweigen. Harry wartete.
»Harry, du sagst zu oft, wir werden sehen. Wir haben darüber gesprochen. Manchmal …«
»Ich weiß.«
»… glaube ich, daß du allein gelassen werden willst, dich in deinem kleinen Haus auf dem Berg verkriechen und die ganze Welt aussperren willst. Einschließlich meiner Person.«
»Nicht dich. Das weißt du.«
»Manchmal nicht. Im Moment bin ich mir nicht mehr sicher. Du stößt mich weg, gerade wenn du mich – jemanden – brauchst.«
Er hatte keine Antwort parat. Er stellte sich vor, wie sie am anderen Ende saß. Wahrscheinlich auf einem Stuhl in der Küche. Sicher hatte sie schon begonnen, das Essen für sie beide vorzubereiten. Oder vielleicht hatte sie sich schon an seine Marotten gewöhnt und auf den Anruf gewartet.
»Du, es tut mir leid«, sagte er. »Du weißt, wie es ist. Was machst du in bezug aufs Abendessen?«
»Nichts, und ich werde auch nichts
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