Harry Bosch 03 - Die Frau im Beton
erfuhr Bosch jedoch, daß sie erst vor zwei Monaten verschwunden war. Die Beton-Blondine war viel länger tot. Die Hoffnung und Verzweiflung in der Stimme des Mannes schienen echt zu sein, und Bosch war sich nicht sicher, ob es eine gute Nachricht für ihn war, daß es nicht seine Frau sein konnte, oder eine schlechte, weil er wieder ins Ungewisse gestoßen wurde.
Drei der Anrufer gaben vage Beschreibungen von Frauen, von denen sie dachten, daß es die Tote sein könnte, aber nach ein paar Fragen erkannten Bosch und Edgar schnell, daß es Polizeispanner waren, Leute, die geil darauf waren, mit der Polizei zu sprechen.
Der ungewöhnlichste Anruf kam von einem Medium aus Beverly Hills, die sagte, sie hätte ihre Hände während der Sendung auf den Bildschirm gelegt und gefühlt, wie der Geist der toten Frau gerufen hätte.
»Was hat er gerufen?« fragte Bosch geduldig.
»Lobet.«
»Lobet was?«
»Lobet den Herrn, nehme ich an, ich bin mir aber nicht sicher. Das ist alles, was ich gehört habe. Vielleicht empfange ich mehr, wenn ich meine Hände auf den Gipsabdruck …«
»Mh, hat sich dieser Geist identifiziert? Verstehen Sie, deshalb sind wir hier. Wir sind mehr an einem Namen interessiert als an Lobrufe.«
»Eines Tages werden Sie glauben, aber dann werden Sie verloren sein.«
Sie hängte abrupt auf.
Um halb acht erklärte Bosch, daß er abhauen würde.
»Was ist mit dir? Wartest du die Elf-Uhr-Nachrichten ab?«
»Ja, ich bleibe hier, aber ich werde zurechtkommen. Falls eine Menge Anrufe kommt, schnapp ich mir einen von den Schreibtischhengsten.«
Er stopft sich mit Überstunden voll, dachte Bosch.
»Was ist der nächste Schritt?«
»Keine Ahnung. Was meinst du?«
»Abgesehen von den Anrufen, die behaupten, es sei deine Mutter, scheint der Pornotip die einzige Fährte zu sein.«
»Laß meine liebe Mutter aus dem Spiel. Wie überprüf’ ich die Pornosache?«
»Sitte-Aufsicht. Ray Mora, Detective dritten Grades, bearbeitet Pornos. Er ist Spitze. Außerdem war er bei der Puppenmacher-Fahndungsgruppe. Frag ihn, ob er vorbeikommen und sich das Gesicht ansehen kann. Vielleicht hat er sie gekannt. Sag ihm, wir hatten einen Anrufer, der sie als Maggie identifiziert hat.«
»Wird gemacht. Das paßt zum Puppenmacher, nicht wahr? Pornodarstellerin, mein ich.«
»Ja, das paßt.« Er dachte einen Moment darüber nach, dann fügte er hinzu: »Zwei der anderen Opfer waren auch in der Branche. Und die, die flüchten konnte.«
»Die hatte Glück. Ist sie immer noch im Geschäft?«
»Nach dem, was ich zuletzt gehört habe. Was weiß ich, vielleicht ist sie inzwischen auch tot.«
»Das muß alles nichts heißen, Harry.«
»Was?«
»Die Pornosache. Das muß nicht bedeuten, daß es der Puppenmacher war. Der wahre, mein’ ich.«
Bosch nickte bloß. Er hatte eine Idee, was er auf dem Nachhauseweg tun konnte, und ging nach draußen. Aus dem Kofferraum seines Caprices holte er die Polaroidkamera und machte dann oben im Büro zwei Fotos von dem Gipsgesicht. Nachdem sie entwickelt waren, steckte er sie in seine Jackentasche.
Edgar hatte ihn beobachtet und fragte: »Was hast du vor?«
»Vielleicht halt ich auf dem Weg ins Valley zu Sylvia bei dem Porno-Supermarkt.«
»Laß dich nicht mit herausgeholtem Schwanz in einer dieser Kabinen erwischen.«
»Vielen Dank für den Rat. Laß mich wissen, was Mora sagt.«
Bosch fuhr auf Zubringerstraßen zum Hollywood Freeway und auf ihm in nördlicher Richtung bis zur Abfahrt Lankershim Boulevard, der ihn über North Hollywood ins San Fernando Valley brachte. Die Fenster im Wagen waren heruntergekurbelt, und kühle Luft schlug ihm aus allen Ecken um die Ohren. Er rauchte eine Zigarette und schnippte die Asche in den Wind. KAJZ spielte gerade Techno-Funk, also stellte er das Radio ab und fuhr so weiter.
Das Valley war das Schlafzimmer von Los Angeles in mehr als einer Beziehung. Hier hatte sich die Pornoindustrie angesiedelt. In den Gewerbegebieten von Van Nuys, Canoga Park, Northridge und Chatsworth befanden sich Hunderte von Pornoproduktionsgesellschaften, Verleihfirmen und Lagerhäusern. Modellagenturen in Sherman Oaks vermittelten neunzig Prozent der Frauen und Männer, die vor den Kameras agierten. Aus dem Grunde war das Valley auch der größte Verkaufstisch für das Endprodukt. Es wurde hier produziert und verkauft. Durch Versandfirmen, die sich mit den Produktionsgesellschaften die Lagerhäuser teilten, und durch Läden wie X Marks the Spot auf dem Lankershim
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