Harry Bosch 03 - Die Frau im Beton
hatte.
Ihr erster Zeuge an diesem Tag war ein Mann namens Wieczorek, der aussagte, Norman Church gut gekannt zu haben und sicher zu sein, daß er nicht die ihm vorgeworfenen elf Morde begangen habe. Wieczorek und Church hatten zwölf Jahre zusammen in der Entwicklungsabteilung gearbeitet. Wieczorek war über Fünfzig; sein weißes Haar war so kurz geschoren, daß die rosa Kopfhaut durchschimmerte.
»Weshalb sind Sie so sicher, daß Norman nicht der Mörder war?« fragte Chandler.
»Nun, zum einen weiß ich, daß er eines dieser Mädchen nicht tötete, die elfte, weil er die ganze Zeit mit mir zusammen war, als sie … was auch immer. Er war bei mir. Dann hat die Polizei ihn umgebracht und ihm elf Morde angehängt. Nun, wenn ich weiß, daß er eines dieser Mädchen nicht umbrachte, dann lügen sie wahrscheinlich auch bei den anderen. Die ganze Sache ist eine Vertuschungsaktion, weil sie ihn umgebracht …«
»Danke, Mr. Wieczorek«, sagte Chandler.
»Ich sage nur, was ich denke.«
Belk stand auf und erhob trotzdem Einspruch. Er ging zum Rednerpult und jammerte, daß die gesamte Antwort auf Spekulation beruhe. Der Richter stimmte ihm zu, aber der Schaden war nicht mehr zu beheben. Belk schritt zurück zu seinem Stuhl und begann ein dickes Protokoll einer Aussage durchzublättern, die Wieczorek vor einigen Monaten gemacht hatte.
Chandler fuhr fort und fragte, wo sich der Zeuge und Church an dem Abend, als das elfte Opfer ermordet wurde, aufgehalten hätten, und Wieczorek antwortete, daß sie mit sieben anderen Männern in seinem Apartment gewesen seien. Auf einer Junggesellenparty für einen Kollegen, der vor der Hochzeit stand.
»Wie lange war Norman Church in Ihrer Wohnung?«
»Während der ganzen Party. Ich würde sagen ab neun Uhr. Um zwei Uhr morgens ging sie zu Ende. Die Polizei sagte, dieses Mädchen, die elfte, ging um eins in ein Hotel und wurde ermordet. Norman war um ein Uhr morgens bei mir.«
»Ist es möglich, daß er für eine Stunde oder so verschwand, ohne daß Sie es bemerkten?«
»Auf keinen Fall. Wenn man in einem Raum mit acht Typen ist, merkt man, wenn einer für eine halbe Stunde verschwindet.«
Chandler bedankte sich bei ihm und setzte sich. Belk lehnte sich zu Bosch hinüber und flüsterte: »Mal sehen, was er mit dem neuen Arschloch macht, das ich ihm aufreißen werde.«
Bewaffnet mit dem Aussageprotokoll schleppte sich Belk zum Pult, als würde er eine Elefantenbüchse tragen. Wieczorek, dessen dicke Brillengläser seine Augen vergrößerten, beäugte ihn mißtrauisch.
»Mr. Wieczorek, erinnern Sie sich an mich? Erinnern Sie sich an die Aussage, die Sie vor ein paar Monaten bei mir gemacht haben?«
Belk hielt das Protokoll als Gedächtnisstütze hoch.
»Ich erinnere mich an Sie«, sagte Wieczorek.
»Fünfundneunzig Seiten, Mr. Wieczorek. An keiner Stelle erwähnen Sie eine Junggesellenparty. Warum?«
»Wahrscheinlich, weil Sie nicht gefragt haben.«
»Aber Sie haben es auch nicht von sich aus angesprochen, nicht wahr? Die Polizei behauptet, Ihr bester Kumpel hat elf Frauen umgebracht, und Sie wissen, daß das eine Lüge ist, aber halten den Mund. Richtig?«
»Ja, richtig.«
»Würde es Ihnen etwas ausmachen, uns den Grund zu nennen?«
»Wie ich die Sache sehe, waren Sie ein Grund. Ich habe nur geantwortet, was ich gefragt wurde. Von selbst hätte ich Ihnen einen Sch… hm, nichts.«
»Haben Sie je der Polizei etwas davon erzählt? Damals, als Church getötet wurde und die Schlagzeilen sagten, er habe elf Frauen umgebracht? Haben Sie je einen Anruf gemacht, um ihnen zu sagen, daß sie den Falschen erwischt haben?«
»Nein. Zu der Zeit wußte ich es nicht. Erst als ich ein Buch zu dem Fall las, das vor einigen Jahren erschien, erfuhr ich einige Details über das letzte Opfer. Da wußte ich, daß er die ganze Zeit bei mir war. Als ich die Polizei anrief und nach der Fahndungsgruppe fragte, wurde mir mitgeteilt, daß sie schon lange aufgelöst sei. Ich habe dem Typen, der im Buch als Leiter der Ermittlungen aufgeführt wurde, eine Nachricht hinterlassen. Sein Name war Lloyd, glaube ich. Er rief nie zurück.«
Belk stieß einen hörbaren Seufzer in das Mikrofon des Rednerpults aus, der zeigte, wie widerwillig er sich mit diesem Idioten abgab.
»Wenn ich also mal zusammenfassen darf, wollen Sie der Jury erzählen, daß Sie zwei Jahre nach diesen Morden ein spezielles Buch lasen und sofort merkten, daß Sie ein wasserdichtes Alibi für Ihren Freund hatten. Habe ich irgend
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