Harry Bosch 03 - Die Frau im Beton
etwas ausgelassen, Mr. Wieczorek?«
»Hm, ich habe es nicht sofort gemerkt.«
»Und wann haben Sie es bemerkt?«
»Nun, als ich das Datum las – 28. September –, fing ich an zu grübeln und erinnerte mich, daß in dem Jahr am 28. September die Junggesellenparty stattfand und daß Norman die ganze Zeit bei mir zu Hause war. Ich habe es überprüft und dann Norma angerufen, um ihr zu sagen, daß er es nicht war.«
»Sie haben es überprüft? Mit den anderen Partygästen?«
»Nein, das war nicht notwendig.«
»Warum nicht, Mr. Wieczorek?« fragte Belk verärgert.
»Ich habe mir das Video angesehen, das wir an dem Abend gemacht haben. In der Ecke sind Datum und Zeit eingeblendet.«
Bosch sah, wie Belk kreidebleich wurde. Der Anwalt sah zum Richter, dann auf seinen Block und wieder zum Richter. Bosch fühlte, wie seine Zuversicht dahinschwand. Belk hatte den gleichen Schnitzer begangen wie Chandler tags zuvor. Er hatte eine Frage gestellt, deren Antwort er noch nicht kannte.
Man mußte kein Anwalt sein, um zu wissen, daß Belk durch die Erwähnung des Videos Tür und Tor für Chandler geöffnet hatte, die jetzt weitere Fragen stellen und das Video als Beweismaterial anführen konnte. Sie hatte die Falle mit List aufgestellt. Da es eine Aussage war, die nicht im Vernehmungsprotokoll enthalten war, hätte sie Belk ansonsten im vorhinein unterrichten müssen, daß sie Wieczorek im Zeugenstand darüber befragen wollte. Statt dessen hatte sie Belk auf geschickte Weise dazu gebracht, selbst hineinzutappen. Jetzt stand er hilflos da. Wie die Geschworenen hatte er es selbst erst in diesem Moment erfahren.
»Keine weiteren Fragen«, sagte Belk und kehrte mit gesenktem Haupt zu seinem Platz zurück. Dort nahm er sich eins der juristischen Fachbücher und begann es durchzublättern.
Chandler ging zum Pult, um weitere Fragen zu stellen.
»Mr. Wieczorek, haben Sie das Band noch, das Sie gegenüber Mr. Belk erwähnten?«
»Sicher, ich habe es mitgebracht.«
Chandler beantragte dann, das Video der Jury zu zeigen. Richter Keyes schaute Belk an, der langsam zum Pult ging.
»Euer Ehren«, brachte Belk heraus, »die Verteidigung hätte gern zehn Minuten Pause, um Präzedenzfälle zu studieren.«
Der Richter sah zur Uhr.
»Ist es nicht ein bißchen früh, Mr. Belk? Wir haben gerade erst angefangen.«
»Euer Ehren«, warf Chandler ein, »die Klägerseite erhebt keinen Einspruch. Ich brauche etwas Zeit, um das Videogerät anzuschließen.«
»Nun gut«, sagte der Richter. »Zehn Minuten für die Anwälte. Die Jury hat in fünfzehn Minuten wieder im Wartezimmer zu sein.«
Während sie sich für die Jury erhoben, blätterte Belk das schwere Buch durch. Als sie sich wieder setzen konnten, zog Bosch seinen Stuhl zu ihm hinüber.
»Nicht jetzt«, sagte Belk. »Ich habe nur zehn Minuten Zeit.«
»Sie haben Scheiße gebaut.«
»Nein, wir haben Scheiße gebaut. Wir sind ein Team. Vergessen Sie das nicht.«
Bosch ließ ihn allein und ging hinaus, um zu rauchen. Als er zur Statue draußen kam, stand Chandler schon da und rauchte. Er steckte sich trotzdem eine Zigarette an und hielt Abstand. Sie sah ihn an und lächelte spöttisch.
»Sie haben ihn hereingelegt, nicht wahr?«
»Mit der Wahrheit hereingelegt.«
»Ist es wirklich die Wahrheit?«
»O ja.«
Sie steckte eine halbgerauchte Zigarette in den Sand des Aschekübels und sagte: »Ich muß rein und die Anlage aufbauen.«
Sie zog wieder die Mundwinkel spöttisch nach oben, und Bosch fragte sich, ob sie so gut war oder Belk so schlecht.
Belk verlor die halbstündige Debatte über die Aufnahme des Videobands als Beweisstück. Er argumentierte, es sei nicht während der außergerichtlichen Vernehmung erwähnt worden und sei daher neues Beweismaterial, das die Klägerseite zu diesem Zeitpunkt nicht mehr ins Verfahren einführen dürfe. Richter Keyes lehnte seine Behauptung ab, indem er darauf hinwies, daß es Belk selbst gewesen sei, der das Video ins Spiel gebracht habe.
Nachdem die Jury wieder hereingeführt worden war, stellte Chandler Wieczorek einige Fragen zum Videoband und dessen Aufbewahrungsort während der letzten vier Jahre. Belk erhob noch einen weiteren Einspruch, der wieder von Richter Keyes abgelehnt wurde, und dann rollte Chandler einen Tisch mit Fernseher und Videoanlage vor die Bänke der Jury. In den Recorder steckte sie die Kassette, die Wieczorek von einem Freund, der unter den Zuschauern saß, geholt hatte. Um sehen zu können, standen Bosch und
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