Harry Bosch 03 - Die Frau im Beton
ausgeschaltet und das Buch beiseitegelegt. Auf beiden Nachttischen und der Kommode brannten Kerzen, die in silbernen Gefäßen standen, deren Wände von Halbmonden und Sternen durchbrochen waren. Die flackernden Lichter warfen schemenhafte, sich bewegende Muster an Wände, Vorhänge und auf den Spiegel – ein lautloses Feuerwerk.
Sie hatte sich auf die Kissen zurückgelegt und die Bettdecke zurückgeschlagen. Nackt stand er ein paar Augenblicke am Fuß des Bettes, und sie lächelten sich an. Mit ihrem gebräunten und fast noch mädchenhaften Körper sah sie wunderschön in seinen Augen aus. Sie war schlank und hatte kleine Brüste und einen sanft gerundeten Bauch. Von den unzähligen Tagen, die sie in ihrer Jugend am Strand verbracht hatte, war ihre Brust mit Sommersprossen übersät.
Er war acht Jahre älter und wußte, daß man es ihm ansah. Aber er schämte sich nicht wegen seines Körpers. Mit dreiundvierzig hatte er immer noch keinen Bauch, und sein Körper war muskulös, nicht durch Übungen an irgendwelchen Kraftmaschinen, sondern durch die tägliche Last seines Lebens, seiner Arbeit. Eigenartigerweise ergrauten seine Körperhaare schneller als sein Haupthaar. Sylvia zog ihn oft deswegen auf und bezichtigte ihn scherzhaft, sich die Haare zu färben und in diesem Punkt eitel zu sein.
Als er sich neben sie ins Bett legte, fuhr sie mit den Fingern über seine Tätowierung aus Vietnam und die Narben auf seiner rechten Schulter, die eine Kugel vor ein paar Jahren verursacht hatte. Wie jedes Mal, wenn sie hier zusammenlagen, strich sie über den narbigen Reißverschluß.
»Ich liebe dich, Harry«, sagte sie.
Er rollte auf sie und gab ihr einen tiefen Kuß. Vom Geschmack des Rotweins und der Wärme ihrer Haut ließ er sich davontragen, weg von seinen Sorgen und den schrecklichen Todesszenen. Er war in den Tempel des Zuhauseseins eingetreten, dachte er, sagte es jedoch nicht. Ich liebe dich, dachte er, schwieg aber.
9
Nachdem am Dienstag alles so gut für Bosch abgelaufen war, wendete sich am nächsten Morgen das Blatt wieder. Den ersten Rückschlag mußte er in Keyes’ Büro einstecken, wo der Richter die Rechtsanwälte und ihre Klienten versammelt hatte, nachdem er den Brief von dem angeblichen Puppenmacher eine halbe Stunde lang allein studiert hatte. Er hatte sich dorthin zum Lesen des Schreibens zurückgezogen, nachdem Belk eine geschlagene Stunde lang gegen dessen Aufnahme als Beweisstück in diesem Prozeß argumentiert hatte.
»Ich habe den Brief gelesen und die verschiedenen Argumente überdacht«, sagte er. »Man kann diesen Brief, Wisch oder – meinetwegen – dieses Gedicht unmöglich der Jury vorenthalten. Das Schreiben ist derartig relevant für Ms. Chandlers Klage, daß es Teil der Verhandlung wird. Damit ist kein Urteil verbunden, ob es ernst zu nehmen ist oder von einem Verrückten stammt. Es ist Sache der Jury, das zu entscheiden – falls sie das können. Aber noch nicht abgeschlossene Ermittlungen sind kein Grund, es vom Verfahren auszuschließen. Ich gebe Ihrem Antrag zur Beweisaufnahme statt, Ms. Chandler, Sie können es zum gegebenen Zeitpunkt bei der Verhandlung einführen, vorausgesetzt, Sie legen das Fundament dafür – keine Zweideutigkeiten beabsichtigt. Mr. Belk, wir werden Ihren Widerspruch ins Protokoll aufnehmen.«
»Euer Ehren?« versuchte Belk.
»Nein, die Diskussion ist zu Ende. Begeben wir uns zurück in den Gerichtssaal.«
»Euer Ehren! Wir wissen nicht, wer das geschrieben hat. Wie können Sie es als Beweismittel zulassen, wenn wir nicht die geringste Ahnung haben, woher es kommt oder wer es geschrieben hat?«
»Ich weiß, daß diese Entscheidung eine Enttäuschung für Sie ist, daher werde ich gnädig sein und Ihnen keinen Verweis wegen fehlenden Respekts vor der Entscheidung des Gerichts erteilen. Die Diskussion ist zu Ende, Mr. Belk, ich werde es deshalb nur noch einmal zusammenfassen. Die Tatsache, daß dieses Schreiben unbekannter Herkunft direkt zur Entdeckung einer Leiche führte, die alle Merkmale eines Puppenmacher-Opfers trägt, stellt schon selbst eine gewisse Echtheit dar. Dies ist kein Streich oder Witz, Mr. Belk. Wir haben hier etwas Handfestes, und die Geschworenen werden es vorgelegt bekommen. Also, alle raus jetzt.«
Die Verhandlung war gerade erst einberufen worden, da ereignete sich das nächste Debakel. Belk war eventuell noch von seiner Niederlage im Büro des Richters benommen und tapste in eine Falle, die Chandler ihm geschickt gelegt
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