Harry Bosch 03 - Die Frau im Beton
Puppenmacher-Fahndungsgruppe seine Dienste als Experte angeboten habe, nachdem er in der Zeitung von den Morden gelesen hatte. Er habe einem Psychiater der Polizei dabei geholfen, ein Täterprofil zu entwerfen.
»Sagen Sie der Jury, was Ihr Fachgebiet ist«, forderte ihn Chandler auf.
»Nun, ich bin der Direktor des Psychohormonforschungslabors an der USC. Ich habe diese Einrichtung gegründet und weitreichende Untersu chungen zu Sexualverhalten, Paraphilie und psychosexuellen Wechselwirkungen durchgeführt.«
»Was ist Paraphilie, Doktor. Könnten Sie das bitte allgemeinverständlich ausdrücken?«
»Paraphilie ist, was der Laie generell unter sexueller Perversion versteht. Sexualverhalten, das im allgemeinen von der Gesellschaft nicht akzeptiert wird.«
»Wie zum Beispiel, seinen Sexualpartner zu erwürgen?«
»Ja, das ist ein wunderschönes Beispiel.«
Im Saal gab es amüsierten Getuschel, und Locke lächelte. Er schien sich im Zeugenstand wohl zu fühlen, dachte Bosch.
»Haben Sie wissenschaftliche Artikel oder Bücher über diese Themen geschrieben?«
»Ja, ich habe zahlreiche Artikel für wissenschaftliche Zeitschriften verfaßt und sieben Bücher über unterschiedliche Themengebiete geschrieben: sexuelle Entwicklung von Kindern, vorpubertäre Paraphilie, Sadomasochismus – alles übers Fesseln –, Pornographie, Prostitution. Mein letztes Buch behandelte die Kindheitsentwicklung von Triebmördern.«
»Sie kennen sich also gut aus.«
»Nur als Forscher.«
Locke lächelte wieder, und Bosch sah, wie ihm das Interesse der Jury zuflog. Alle vierundzwanzig Augen waren auf den Sex-Doktor gerichtet.
»Was war der Titel Ihres letzten Buches, das über die Mörder?«
»Schwarze Herzen: Das Auslegen der erotischen Form von Mord. «
Chandler sah kurz auf ihre Notizen.
»Was meinen Sie mit ›erotischer Form‹?«
»Nun, Ms. Chandler, ich glaube, ich sollte etwas weiter ausholen, um das Umfeld zu skizzieren.«
Sie nickte ihm zu, damit anzufangen.
»Es gibt generell zwei Forschungsgebiete oder Ansätze in Bezug auf sexuelle Paraphilie. Ich persönlich bin Psychoanalytiker, und Psychoanalytiker glauben, daß die Wurzel aller Paraphilie in Haßgefühlen liegt, die in der Kindheit eines Individuums entstanden sind. Mit anderen Worten, sexuelle Perversionen – und eigentlich auch normales Sexualverhalten – bilden sich im frühen Kindheitsstadium und manifestieren sich dann im Handeln des Erwachsenen.
Verhaltenswissenschaftler andererseits betrachten Paraphilie als erlerntes Verhalten. Zum Beispiel kann sexueller Mißbrauch eines Individuums als Kind im Elternhaus dazu führen, daß das Individuum sich als Erwachsener genauso verhält. Die zwei Forschungsansätze unterscheiden sich nicht sehr voneinander. Sie sind sich im Grunde näher, als Psychoanalytiker und Verhaltensforscher zugeben wollen.«
Er nickte und faltete seine Hände; anscheinend hatte er die ursprüngliche Frage vergessen.
»Sie wollten uns den Begriff ›erotische Form‹ erklären«, soufflierte ihm Chandler.
»O ja, Entschuldigung. Ich hatte den Faden verloren. Hm, die erotische Form vereinigt alle psychosexuellen Begierden, die in die erotische Idealszene eines Individuums eingehen. Sie müssen verstehen, daß jede Person eine erotische Idealszene hat. Dazugehören könnten die idealen körperlichen Attribute eines Geliebten, Ort sowie Art und Weise des Geschlechtsakts, Gerüche, taktile Wahrnehmungen, Musik und so weiter. Alle Zutaten, die für ein Individuum die ideale erotische Szene herstellen. Eine Autorität auf diesem Gebiet, ein Professor an der Johns Hopkins University, nennt dies den ›Liebesplan‹, eine Art Führer zur optimalen Erfahrung.«
»Gut. In Ihrem Buch haben Sie das nun auf Sexualmörder angewandt.«
»Ja, bei fünf Personen – alle wegen Mordes im Zusammenhang mit sexuellen Motiven oder Praktiken verurteilt – habe ich versucht, die erotische Form nachzuzeichnen, sie zu knacken und ihre einzelnen Komponenten auf die Kindheitsentwicklung zurückzuführen. Diese Männer hatten sozusagen schadhafte Formen. Ich versuchte herauszufinden, wo und wann sie den Schaden erlitten.«
»Wie wählten Sie Ihre Untersuchungspersonen aus?«
Belk stand auf, erhob Einspruch und ging zum Pult.
»Euer Ehren, dies mag alles faszinierend sein, aber ich glaube, es ist nicht relevant. Ich erkenne hiermit formell Dr. Lockes Fachkenntnis auf diesem Gebiet an. Es ist wohl nicht nötig, die Fallstudien von fünf Mördern
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