Harry Bosch 03 - Die Frau im Beton
Mörder war. Stützt sich Ihr Wissen auf unwiderlegbare Fakten?«
»Nun, ich weiß, daß es wahr ist, weil die Polizei mir das gesagt hat.«
»Lassen wir die Polizei sowie die angeblichen Beweise aus dem Spiel und gehen wir einmal zurück. Wenn Sie davon ausgehen, was Sie jetzt von Norman Church wissen, hätten Sie ihm je die ihm vorgeworfenen Verbrechen zugetraut?«
Belk war im Begriff aufzustehen und Einspruch zu erheben, aber Bosch hielt ihn am Arm fest. Er drehte sich um und sah ihn wütend an, Locke war jedoch schon dabei zu antworten.
»Ich wäre nicht in der Lage, ihn als Verdächtigen ein- oder auszuschließen. Wir wissen nicht genug von ihm. Wir wissen zu wenig über die menschlichen Psyche im allgemeinen.
Ich weiß nur, daß jeder dazu in der Lage sein könnte. Auch ich könnte ein Sexualmörder sein. Sogar Sie, Ms. Chandler.
Wir alle haben eine erotische Form, und bei den meisten von uns ist sie ziemlich normal. Am extremen Ende, bei denen, die erotische Erregung und Erfüllung nur dadurch erreichen, daß sie Schmerz zufügen oder sogar töten, ist die Form tief vergraben.«
Chandler machte gerade Notizen auf ihrem Block, als er seine Antwort beendete. Da sie nicht sofort eine weitere Frage stellte, fuhr er unaufgefordert fort.
»Unglücklicherweise kann man das dem Triebtäter nicht ansehen. Die Opfer, die diese Seite kennenlernen, überleben es meistens nicht.«
»Danke, Doktor«, sagte Chandler, »ich habe keine weiteren Fragen.«
Belk gab sich gar nicht erst mit einleitenden Idiotenfragen ab und kam gleich zur Sache. Sein breites, gerötetes Gesicht hatte einen entschlossenen Ausdruck, den Bosch noch nie gesehen hatte.
»Doktor, wie sehen diese sogenannten paraphilen Männer aus?«
»Wie jeder. Man sieht es ihnen nicht an.«
»Sind sie stets auf der Jagd? Das heißt, suchen sie ständig nach Gelegenheiten, ihre abartigen Phantasien auszuleben?«
»Nein, Untersuchungen haben festgestellt, daß diese Leute wissen, daß sie eine abartige Veranlagung haben und daß sie sich bemühen, sie unter Kontrolle zu halten. Diejenigen, die mutig genug sind, ihre Probleme zu offenbaren, führen oft mit Hilfe von pharmazeutischer und psychologischer Therapie ein ganz normales Leben. Die anderen können periodisch ihrem Triebdruck nicht mehr standhalten und begehen Verbrechen.
Psychosexuell motivierte Serienmörder zeigen oft sich wiederholende Verhaltensmuster, so daß die Polizei mit einigen Abweichungen voraussagen kann, wann sie wieder zuschlagen werden. Die Entstehung des Triebstaus und das zwanghafte Handeln folgen einem Muster. Oft treten abnehmende Intervalle auf – der überwältigende Drang zu handeln stellt sich immer schneller wieder ein.«
Belk hatte sich über das Pult gebeugt und lastete mit seinem ganzen Gewicht auf ihm.
»Ich verstehe. Aber lebt der Täter zwischen diesen Episoden, wo er dem Drang nachgiert, ein scheinbar normales Leben oder steht er in der Ecke und sabbert?«
»Nein, nichts dergleichen – zumindest nicht bis die Intervalle so kurz werden, daß sie quasi verschwinden. Dann haben Sie jemanden, der – wie Sie es ausdrückten – ständig auf der Jagd ist. Aber in den Intervallzeiträumen tritt Normalität ein. Der abartige Sexualakt – Vergewaltigung, Erwürgen, Voyerismus oder was Sie wollen – verschafft dem Individuum Erinnerungsmaterial, mit dem er seine Phantasien konstruieren kann. Er verwendet die Tat, um zu phantasieren und erregt zu werden – beim Masturbieren oder beim normalen Geschlechtsakt.«
»Wollen Sie damit sagen, daß er die Mordszenen sozusagen in seinem Kopf wieder abspult, so daß er sexuell erregt wird und normalen Geschlechtsverkehr zum Beispiel – mit seiner Ehefrau ausüben kann?«
Chandler erhob Einspruch gegen die Suggestivfrage, und Belk mußte sie neu formulieren, bevor Locke antworten konnte.
»Ja, er wiederholt die abartigen Szenen in seinem Kopf, damit er einen sozial akzeptierten Geschlechtsakt vollziehen kann.«
»Dadurch wüßte zum Beispiel die Frau nichts von den wahren Begierden ihres Mannes. Korrekt?«
»Das ist korrekt. Dafür gibt es viele Beispiele.«
»Und so eine Person könnte ihren Beruf ausüben, mit Freunden zusammen sein, und niemand würde etwas merken. Korrekt?«
»Das ist ebenfalls korrekt. Die Fallstudien von sadistischen Sexualmördern bieten viele Beweise dafür. Ted Bundy, der ein Doppelleben führte, über das wir viel Material haben. Randy Kraft, der Dutzende von Anhaltern hier in Südkalifornien
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