Harry Bosch 03 - Die Frau im Beton
Farbe. In einer schnellen und wagemutigen Aktion hatte sein Partner mit schwarzer Farbe die gelbe Linie auf den Fliesen überstrichen, während Bosch eine neue gelbe Linie zog, die an den Aufzügen vorbei zu einer Männertoilette führte und vor einem Pißbecken endete. Der Streich hatte ihnen in ihrem Jahrgang so etwas wie legendären Status verliehen, sogar bei den Ausbildern.
Im zweiten Stock verließ er den Aufzug und ging zur Raub-Mord-Abteilung. Die Etage war leer. Die meisten RM-Cops hielten sich strikt an ihre Schicht, die von sieben bis drei ging. So kam ihnen die Arbeit nicht bei ihren Nebentätigkeiten in die Quere. RM war die Eliteeinheit der Polizei, und sie bekamen die besten Jobs: Sie fuhren als Chauffeure saudi-arabische Prinzen herum, übernahmen Sicherheitsaufgaben für die Bosse der Filmstudios und spielten Bodyguard für Leute, die in Vegas mal ein paar Hunderttausend auf den Spieltisch legten – da die Polizei von Las Vegas keine Nebentätigkeiten zuließ, fielen ihnen die dicken Honorare in den Schoß.
Als Bosch bei RM angefangen hatte, gab es noch ein paar Detectives, die für Howard Hughes als Leibwächter gearbeitet hatten. Sie sprachen davon, als sei das der Sinn ihres Jobs, Mittel zum Zweck zu sein. Die Eintrittskarte für einen Job bei einem geistesgestörten Milliardär, der überhaupt keinen Bodyguard brauchte, weil er nie irgendwo hinging.
Bosch ging in den hinteren Teil des Großraumbüros und stellte einen der Computer an. Während der Bildschirm warmlief, steckte er sich eine Zigarette an und zog die Vermißtenmeldung aus seiner Jackentasche. Der Bericht war wertlos. Niemand hatte ihn je weiterverfolgt, nachgeforscht oder sich dafür interessiert.
Er sah, daß Tom Cerrone sich die Mühe gemacht hatte, aufs Revier von North Hollywood zu gehen und die Meldung am Eingangsschalter gemacht hatte. Das bedeutete, daß sie wahrscheinlich von einem Anfänger, der noch in der Probezeit war, aufgenommen wurde oder von einem ausgebrannten Veteranen, den es einen Scheiß interessierte. So oder so war der Fall nicht ernstgenommen worden. Der Bericht war eine reine Pflichtübung.
Cerrone hatte ausgesagt, daß er die Wohnung mit Kaminski teilte. Laut Bericht hatte sie ihm zwei Tage zuvor erzählt, daß sie ein Rendezvous mit einem Unbekannten im Hyatt am Sunset Strip habe und hoffe, der Kerl sei nicht pervers. Sie kam nie zurück. Cerrone begann sich Sorgen zu machen und ging zur Polizei. Die Meldung wurde aufgenommen, weitergereicht zu den Detectives des Reviers, denen nichts dazu einfiel, und landete dann bei der Vermißtenabteilung in Downtown, wo vier Detectives die Aufgabe haben, die durchschnittlich sechzig vermißten Personen pro Woche zu finden.
Die Wirklichkeit sah so aus, daß die Vermißtenmeldung mit ähnlichen Fällen zusammen abgelegt und nicht mehr angesehen wurde, bis Edgar und sein Kumpel Morg sie fanden. Das alles regte Bosch nicht besonders auf, obwohl jeder, der sich zwei Minuten Zeit genommen hätte, gemerkt hätte, daß Cerrone nicht die Wahrheit über sich gesagt hatte. Aber wahrscheinlich war Kaminski schon längst tot und einbetoniert, als der Bericht gemacht wurde. Man hätte also gar nichts mehr tun können.
Er gab den Namen Thomas Cerrone in die Datenbank des kalifornischen Justizministeriums ein. Wie erwartet hatte er Erfolg. Cerrones Computerakte zeigte, daß er neunmal in ebensovielen Jahren wegen Zuhälterei festgenommen worden war.
Er mußte Kaminskis Zuhälter gewesen sein. Harry sah, daß er vierzig Jahre alt war und wegen seiner letzten Verurteilung sechsunddreißig Monate Bewährungszeit hatte. Bosch zog sein schwarzes Adressbuch heraus und rollte auf dem Stuhl zu einem Schreibtisch mit Telefon. Er wählte die Nummer des Spätdiensts der County-Bewährungshelferabteilung und gab der Angestellten Cerrones Name und Strafnummer. Von ihr erhielt er Cerrones augenblickliche Adresse. Der Zuhälter war auf dem absteigenden Ast; er war von Studio City nach Van Nuys gezogen, nachdem Kaminski von ihrem Rendezvous im Hyatt nicht zurückgekehrt war.
Als er den Hörer aufgelegt hatte, überlegte er, ob er Sylvia anrufen und ihr sagen sollte, daß er wahrscheinlich morgen von Chandler in den Zeugenstand gerufen würde. Er war sich nicht sicher, ob er sie dabei haben wollte, wenn Money Chandler ihn in die Enge treiben würde. Er entschloß sich, nicht anzurufen.
Cerrones Adresse war ein Apartment auf dem Sepulveda Boulevard, einer Gegend, in der die
Weitere Kostenlose Bücher