Harry Bosch 03 - Die Frau im Beton
Prostituierten offen auf Kundenfang gingen. Es war noch hell, und Bosch zählte vier junge Frauen, die über zwei Blocks verteilt standen. Sie trugen Bikini-Oberteile und Hot pants. Wie Anhalter hielten sie den Daumen nach oben, wenn Autos vorbeifuhren. Aber es war offensichtlich, daß sie nur um die Ecke auf den Parkplatz wollten, wo sie dann zum Geschäftlichen kämen.
Bosch parkte seinen Wagen gegenüber von den Van-Aire-Apartments, die Cerrone seinem Bewährungshelfer als Adresse angegeben hatte. Ein paar Zahlen der Hausnummer waren heruntergefallen. Sie waren jedoch noch zu erkennen, weil der Smog die Wand um sie herum schmuddelig beige verfärbt hatte. Das Gebäude brauchte einen neuen Anstrich, neue Jalousien, Verputz für die Risse in der Fassade und wahrscheinlich neue Mieter.
Am besten, man riß es gleich ganz ab und fing neu an, dachte Bosch, als er die Straße überquerte. Cerrones Name stand auf dem stummen Portier neben der Eingangstür, aber niemand in Apartment Sechs antwortete auf sein Klingeln.
Bosch steckte eine Zigarette an und entschied sich, eine Weile hier zu warten. Er zählte vierundzwanzig Wohnungen auf der Apartmentliste. Es war sechs Uhr. Die Mieter würden bald zum Abendessen nach Hause kommen. Irgend jemand würde erscheinen.
Er verließ seinen Platz an der Tür und ging zum Straßenrand. Der Bürgersteig war mit schwarzen Graffiti bemalt. Die Namen der Gangs aus der Nachbarschaft, außerdem in Druckbuchstaben die Frage BIST DU DER NECHSTE RODDY KING?. Wie konnte jemand einen Namen falsch schreiben, der so oft zu hören und zu lesen war?
Eine Frau und ihre zwei kleinen Kinder kamen von innen auf die vergitterte Tür zu. Bosch paßte es so ab, daß er den Eingang erreichte, als sie öffnete.
»Ist Tommy Cerrone zu Hause?« fragte er im Vorbeigehen.
Sie war zu sehr mit ihren Kindern beschäftigt, um zu antworten. Bosch ging in den Innenhof und sah sich nach der Tür mit der Sechs um, Cerrones Apartment. Auf dem Zementboden des Hofes waren ebenfalls Graffiti, der unleserliche Name einer Gang. Nummer Sechs lag hinten im Erdgeschoß. Ein rostiger Mini-Grill stand auf dem Boden neben der Tür und ein Kinderfahrrad mit Stützrädern stand unter dem Vorderfenster.
Das Fahrrad paßte nicht ins Bild. Bosch versuchte einen Blick zu erhaschen, aber die Vorhänge waren zugezogen. Alles was er sah, war die zehn Zentimeter breite Dunkelzone davor. Er klopfte an die Tür und trat aus Gewohnheit zur Seite. Eine Mexikanerin mit einem Achtmonatsbauch unter ihrem ausgebleichten, rosa Bademantel machte auf. Hinter der kleinen Frau sah Bosch einen Jungen auf dem Wohnzimmerboden vor einem Schwarzweißfernseher sitzen, der auf einen spanisch-sprachigen Sender eingestellt war.
»Hola«, sagte Bosch. »Señor Tom Cerrone aqui?«
Die Frau starrte ihn verängstigt an. Sie schien sich zusammenzuziehen, als ob sie vor seinen Augen kleiner würde. Sie hob die Arme und verschränkte sie über ihrem prallen Bauch.
»Ich bin nicht von der Einwanderungsbehörde«, sagte Bosch. »Policia. Tomas Cerrone. Aqui?«
Sie schüttelte den Kopf und wollte die Tür schließen. Bosch streckte seine Hand aus, um sie offenzuhalten. Mit seinen wenigen Spanischbrocken fragte er sie, ob sie Cerrone kenne und wo er sei. Sie erklärte, er komme nur einmal die Woche, um seine Post und die Miete abzuholen. Sie machte einen Schritt zurück und zeigte auf den Kartentisch mit einem kleinen Stapel Briefe. Bosch sah eine Rechnung von American Express, die oben lag. Gold Card.
»Telefono? Necesidad urgente?«
Sie schlug die Augen nieder, und ihr Zögern verriet ihm, daß sie eine Telefonnummer hatte.
»Por favor?«
Sie bat ihn zu warten und ging nach hinten. Während sie weg war, wandte sich der Junge vom Fernseher ab, in dem eine Quizsendung lief, sah ihn an. Bosch fühlte sich unwohl. Er schaute weg, zum Innenhof. Als er zurücksah, lächelte der Junge. Er hielt die Hand hoch und zielte mit einem Finger auf Bosch. Dann imitierte er ein Schußgeräusch und kicherte. Kurz darauf kam die Mutter mit einem Stück Papier zurück zur Tür. Eine örtliche Telefonnummer stand darauf; das war alles.
Bosch schrieb sie in sein kleines Notizheft, das er immer bei sich hatte, und sagte ihr, er würde die Post mitnehmen. Die Frau drehte sich zum Tisch um, als ob dort stände, was sie tun sollte. Bosch sagte ihr, es wäre okay, und endlich nahm sie den Stoß in die Hand und gab ihn ihm. Ihre Augen waren wieder von Furcht erfüllt.
Er machte
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