Harry Bosch 03 - Die Frau im Beton
verursachte. Es war Ray Mora. Von allen Leuten, die den Ermittlungen nah genug waren, um die Details zu kennen, war es Mora, der ihm Bauchschmerzen verursachte. Die drei Opfer des Jüngers waren im Pornogeschäft. Und das war Moras Domäne. Er kannte sie wahrscheinlich alle. Die Frage, die sich ihm immer mehr aufdrängte, war, ob er sie alle getötet hatte. Allein daran zu denken, war ihm zuwider. Er wußte jedoch, daß er es mußte. Mora war ein logischer Anfangspunkt, wenn er an Lockes Rat dachte. Bosch kam bei seinen Überlegungen deshalb immer wieder auf den Cop vom Sittendezernat zurück, weil er sich mit Leichtigkeit in beiden Welten bewegen konnte: der Pornoindustrie und dem Reich des Puppenmachers. War es nur Zufall, oder genügte es, Mora als Verdächtigen einzustufen? Bosch war sich nicht sicher. Er wußte, er mußte bei einem Unschuldigen ebenso vorsichtig vorgehen wie bei einem Schuldigen.
Sein Haus roch innen muffig. Er ging direkt nach hinten zur Schiebetür und öffnete sie. Einen Augenblick blieb er dort stehen und hörte dem Rauschen des Verkehrs zu, das von dem Freeway am Fuß des Passes heraufdrang. Das Geräusch erstarb nie. Ganz egal welche Zeit, welcher Tag, der Verkehr dort unten floß immer – wie Blut durch die Adern der Stadt.
Auf seinem Anrufbeantworter blinkte die Zahl Drei. Bosch drückte auf die Rücklauftaste und steckte sich eine Zigarette an. Die erste Stimme war Sylvias: »Ich wollte dir nur gute Nacht sagen, Schatz. Ich liebe dich. Sei vorsichtig.«
Jerry Edgar kam als nächster: »Harry, hier Edgar. Ich wollte dir nur sagen, ich habe nichts mehr damit zu tun. Irving hat mich zu Hause angerufen. Morgen früh soll ich alles, was ich habe, RM übergeben. Einem Lieutenant Rollenberger. Paß auf dich auf, Alter. Und achte auf die Sechs.«
Achte auf die Sechs, dachte Bosch. Halt dir den Rücken frei. Den Ausdruck hatte er seit Vietnam nicht mehr gehört. Und er wußte, daß Edgar nie dort gewesen war.
»Hier Ray«, sagte die letzte Stimme auf dem Band. »Ich habe über die Sache mit der Beton-Blondine nachgedacht und habe ein paar Ideen, die für dich interessant sein könnten. Ruf mich morgen früh an, dann können wir drüber reden.«
15
»Ich will eine Aussetzung des Prozesses.«
»Was?«
»Sie müssen das Verfahren aufschieben lassen. Sagen Sie es dem Richter.«
»Verdammt noch mal, wovon reden Sie, Bosch?«
Bosch und Belk saßen am Tisch der Verteidigung und warteten darauf, daß die Sitzung am Donnerstag morgen begann. Sie sprachen in lautem Flüsterton. Wenn Belk fluchte, kam es Bosch künstlich vor, als wollte einer aus der sechsten Klasse bei den Jungs aus der achten mitreden.
»Ich spreche von dem Zeugen gestern, Wieczorek. Er hatte recht.«
»Womit?«
»Das Alibi, Belk. Das Alibi für den elften Mord. Es ist echt. Church war nicht …«
»Einen Moment«, jaulte Belk auf. Dann flüsterte er leiser: »Wenn Sie mir jetzt beichten wollen, daß Sie den Falschen umgebracht haben, dann will ich nichts davon hören, Bosch. Dafür ist es jetzt zu spät.«
Er wandte sich wieder seinem gelben Block zu.
»Gott verdammt, Belk, hören Sie zu. Ich gestehe überhaupt nichts. Ich habe den Richtigen erwischt. Aber wir haben etwas übersehen – einen anderen Täter. Es gab zwei Mörder. Church trägt die Schuld für neun – die neun, die wir ihm durch Vergleich des Make-ups zur Last legen konnten. Die zwei anderen und die, die wir diese Woche einbetoniert gefunden haben, wurden von einem anderen umgebracht. Sie müssen den Prozeß stoppen, bis wir wissen, was genau los ist. Falls es im Prozeß herauskommt, wird der zweite Mörder, der Nachahmungstäter, gewarnt, wie nah wir ihm auf den Fersen sind.«
Belk warf seinen Stift auf den Block, der von dort vom Tisch rollte. Er stand nicht auf, um ihn zu holen.
»Ich werde Ihnen sagen, was los ist, Bosch. Wir werden nichts stoppen. Selbst wenn ich es wollte, könnte ich es nicht – der Richter hat seine Hand in ihrem Höschen. Sie braucht nur Einspruch zu erheben, und nichts geht. Keine Verschiebung. Ich werde es also nicht einmal ansprechen. Sie müssen eins verstehen, Bosch, dies ist ein Prozeß. Und der hat im Moment absolute Kontrolle über Ihr Leben – nicht umgekehrt. Sie können nicht erwarten, daß der Prozeß sich jedesmal vertagt, wenn Sie Ihre Geschichte ändern wollen …«
»Sind Sie fertig?«
»Ja, ich bin fertig.«
»Belk, ich verstehe alles, was Sie gerade gesagt haben. Aber wir müssen die Ermittlungen
Weitere Kostenlose Bücher