Harry Bosch 03 - Die Frau im Beton
Briefe schickte. Aus Stolz, und weil er glaubt, die Polizei könne ihn nicht fassen – er hält sich für einen Gott, unerreichbar –, verfaßt er das Schreiben in dieser Woche.«
»Fang mich doch!«
»Ja, eines der ältesten Spiele … Und vielleicht hat er vielleicht den Brief geschrieben, weil er noch immer auf Sie wütend ist.«
»Auf mich?«
Bosch war überrascht. Daran hatte er noch nie gedacht.
»Ja, Sie haben ihm Church weggenommen. Sie haben seine perfekte Tarnung zerstört. Ich nehme an, das Schreiben und seine Erwähnung in der Presse hat Ihnen im Prozeß nicht gerade geholfen, oder?«
»Nein. Eventuell bedeutet es meine Niederlage.«
»Nun, vielleicht zahlt der Jünger es Ihnen so heim. Vielleicht ist das seine Rache.«
Bosch ließ sich alles einen Moment durch den Kopf gehen. Er konnte fast fühlen, wie das Adrenalin durch seinen Körper gepumpt wurde. Es war nach Mitternacht, aber er war nicht im geringsten müde. Er hatte jetzt ein Ziel und irrte nicht mehr im Dunkeln herum.
»Sie glauben, es gibt noch mehr. Nicht wahr?« fragte er.
»Sie meinen Frauen im Beton oder in ähnlichen Gräbern? Leider ja. Vier Jahre ist eine lange Zeit. Ich fürchte, dort draußen liegen noch viele.«
»Wie finde ich ihn?«
»Ich bin mir nicht sicher. Meine Arbeit beginnt immer erst am Ende. Wenn sie gefaßt wurden. Wenn sie tot sind.«
Bosch nickte, schloß die Ordner und klemmte sie sich unter den Arm.
»Etwas gibt es jedoch«, sagte Locke. »Sehen sie sich an, aus welcher Gruppe seine Opfer kommen. Wer sind sie? Wie kommt er mit ihnen in Kontakt? Sie sagten, die drei Toten und die eine Überlebende waren alle im Pornogeschäft.«
Bosch legte die Ordner wieder auf den Tisch und steckte sich noch eine Zigarette an.
»Ja, außerdem machten sie Hausbesuche«, sagte er.
»Genau. Während Church als Mörder nahm, was er bekommen konnte, und nicht auf Größe, Alter oder Rasse achtete, hat der Jünger einen bestimmten Geschmack.«
Bosch rief die Porno-Opfer vor sein inneres Auge.
»Stimmt. Die Opfer des Nachahmungstäters waren weiß, jung, blond und großbusig.«
»Das ist ein deutliches Muster. Haben sie ihre Callgirl-Dienste in den Sexgazetten annonciert?«
»Von zweien weiß ich es, und von der Überlebenden. Das letzte Opfer hat als Callgirl gearbeitet, aber ich weiß nicht, wie sie geworben hat.«
»Waren die Anzeigen der drei, die annoncierten, mit Foto?«
Bosch konnte sich nur an Holly Leres Annonce genau erinnern. Sie war ohne Foto. Nur ihr Künstlername, die Nummer eines Auftragsdienstes und eine Garantie für geiles Vergnügen.
»Ich glaube nicht. Die, an die ich mich erinnern kann, hatte keins. Aber ihr Pornoname war angegeben. Jeder, der ihre Videos gesehen hatte, kannte also ihr Aussehen und ihre körperlichen Attribute.«
»Sehr gut. Wir entwerfen schon ein Täterprofil des Nachahmers: Er benutzt Pornovideos, um Frauen für sein erotisches Programm auszuwählen. Über die Anzeigen in den Sexblättern, die mit ihren Namen oder Fotos versehen sind, nimmt er dann Kontakt mit ihnen auf. Konnte ich Ihnen weiterhelfen, Detective Bosch?«
»Absolut. Vielen Dank für Ihre Zeit. Und behalten Sie das hier für sich. Ich glaube nicht, daß wir damit jetzt schon an die Öffentlichkeit sollten.«
Bosch griff sich wieder die Ordner und ging zur Tür, aber Locke stoppte ihn.
»Wir sind noch nicht fertig.«
Bosch drehte sich um.
»Was meinen Sie?« fragte er, obwohl er es wußte.
»Sie haben noch nicht den Aspekt angesprochen, der am beängstigendsten ist. Die Frage, wie der Jünger von der Vorgehensweise des Killers erfuhr. Die Fahndungsgruppe hat den Reportern nicht alle Details des Puppenmacher-Programms mitgeteilt. Nicht damals. Einzelheiten wurden zurückgehalten, damit die Verrückten, die sich als Täter stellten, nicht wußten, was sie exakt in ihrem Geständnis sagen mußten. Eine Sicherheitsmaßnahme. Man konnte so schnell erdichtete Geständnisse eliminieren.«
»Also?«
»Also stellt sich die Frage, woher wußte er es?«
»Ich weiß nicht …«
»Doch Sie wissen es. Bremmers Buch machte diese Details allseits bekannt. Das wäre natürlich eine Erklärung für die Beton-Blondine, aber nicht, wie Sie sicher gemerkt haben, für Opfer sieben und elf.«
Locke hatte recht. Es war der Punkt, der Bosch vorhin aufgegangen war. Er hatte es vermieden, darüber nachzudenken, weil er die Implikationen scheute.
Locke sagte: »Die Antwort ist, daß der Jünger in die Details eingeweiht war. Es
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