Harry Bosch 03 - Die Frau im Beton
andere Frau sich dort oben in Gefahr befand. Ich ging hinauf, ich rannte hinauf.«
»Warum forderten Sie keine Unterstützung an?«
»Erstens glaubte ich nicht, daß es noch genug Zeit gab, um fünf Minuten auf Einsatzwagen zu warten. Wenn er da oben eine andere Frau hatte, könnten fünf Minuten ihren Tod bedeuten. Zweitens hatte ich keinen Rover dabei. Ich hätte also keinen Anruf machen können, selbst wenn ich es gewollt …«
»Ein Rover?«
»Ein tragbares Funkgerät. Detectives tragen sie bei Einsätzen bei sich. Das Problem ist, daß es nicht genug davon gibt. Da ich auf dem Weg nach Hause war, wollte ich keinen mitnehmen, da ich bis zur Spätschicht nicht zurückkommen würde. Dadurch wäre während des nächsten Tages einer weniger verfügbar gewesen.«
»Sie konnten also keine Unterstützung per Funk anfordern. Konnten Sie nicht telefonieren?«
»Es war eine Wohngegend. Ich hätte herausfahren und einen öffentlichen Fernsprecher suchen können oder bei jemandem anklopfen können. Aber es war ungefähr ein Uhr, und ich glaubte nicht, daß die Leute einem einzelnen Mann, der sich als Polizist ausgab, schnell die Tür öffnen würden. Ich stand unter Druck. Ich dachte, mir würde nicht mehr viel Zeit bleiben. Ich mußte alleine hinaufgehen.«
»Was geschah dann?«
»Ich ging davon aus, daß Gefahr im Verzuge war, und brach die Tür auf, ohne zu klopfen. Ich hielt die Waffe ausgestreckt.«
»So traten Sie ein?«
»Ja.«
»Was sahen Sie?«
»Erst einmal: Ich gab mich zu erkennen. Ich rief ›Polizei‹. Dann machte ich ein paar Schritte in den Raum – es war ein Studio-Apartment – und sah den Mann, der später als Mr. Church identifiziert wurde, neben dem Bett stehen. Es war eine geöffnete Bettcouch.«
»Was tat er?«
»Er stand nackt da, neben dem Bett.«
»Sahen Sie noch jemanden?«
»Nein.«
»Was dann?«
»Ich rief etwas wie ›Stehenbleiben!‹, ›Keine Bewegung!‹ und machte einen weiteren Schritt vorwärts. Zuerst bewegte er sich nicht. Plötzlich streckte er seinen Arm zum Bett aus, und seine Hand fuhr unters Kissen. Ich schrie ›Nein!‹, aber er stoppte nicht. Ich sah, wie sich sein Arm bewegte, als hätte er etwas mit der Hand ergriffen und zöge es hervor. Ich gab einen Schuß ab. Er tötete ihn.«
»Was schätzen Sie, wie weit waren Sie von ihm entfernt?«
»Es waren fast sieben Meter. Es war ein großer Raum, und wir standen an den gegenüberliegenden Seiten.«
»Starb er sofort?«
»Sehr schnell. Er fiel aufs Bett. Die Autopsie stellte fest, die Kugel trat unter dem rechten Arm ein – mit dem er unters Kissen gegriffen hatte – und durchquerte die Brust. Sie durchschlug sein Herz und beide Lungen.«
»Was taten Sie, nachdem er zusammengebrochen war?«
»Ich ging zum Bett und sah nach, ob er noch lebte. Zu dem Zeitpunkt war er noch lebendig, also legte ich ihm Handschellen an. Er starb einige Sekunden später. Ich hob das Kissen hoch. Dort lag keine Waffe.«
»Was war dort?«
Bosch sah Chandler direkt an und sagte: »Es wird immer ein großes Rätsel bleiben … Er hatte nach einem Toupet gegriffen.«
Chandler hatte ihren Kopf nach unten gebeugt und machte gerade Notizen.
Sie sah auf, und für einen Moment trafen sich ihre Blicke. Dann sagte sie: »Einspruch, Euer Ehren.«
Der Richter stimmte ihr zu, die Bemerkung aus dem Protokoll zu streichen. Belk stellte noch ein paar Fragen zum Schauplatz des Schußwaffengebrauchs und wechselte dann zu den Ermittlungen über Church.
»Sie arbeiteten nicht mehr daran mit?«
»Nein, den Vorschriften entsprechend wurde ich für Bürodienst eingeteilt, während mein Vorgehen untersucht wurde.«
»Teilte man Ihnen die Ergebnisse der Ermittlungen zu Churchs Person mit?«
»Im allgemeinen. Da für mich viel davon abhing, wurde ich informiert.«
»Was erfuhren Sie?«
»Daß das Make-up in dem Badezimmerschränkchen mit dem von neun der Opfer übereinstimmte.«
»Hatten Sie je Zweifel, oder kamen Ihnen je Äußerungen von anderen Ermittlern zu Ohren, die bezweifelten, daß Norman Church für den Tod dieser Frauen verantwortlich war?«
»Für den Tod dieser neun? Nein, nie.«
»Detective Bosch, Sie hörten, wie Mr. Wieczorek aussagte, daß er in der Nacht, als das elfte Opfer, Shirleen Kemp, getötet wurde, mit Mr. Church zusammen war. Sie sahen das Video, was hier als Beweisstück gezeigt wurde. Wurden dadurch irgendwelche Zweifel geweckt?«
»In bezug auf diesen Fall. Aber Shirleen Kemp war nicht unter den neun Opfern,
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