Harry Bosch 03 - Die Frau im Beton
Schreibmaschine aufzutreiben.
Bosch sah, daß Mora mit der rechten Hand schrieb. Das schloß den Cop vom Sittendezernat jedoch nicht aus. Der Jünger kannte sich in den Details aus und würde wissen, daß er die Schlinge um den Hals des Opfers von der linken Seite zuziehen mußte, um den Puppenmacher nachzuahmen. Er wußte auch von dem weißen Kreuz, das auf den Zeh gemalt werden mußte.
Mora blickte auf und sah ihn.
»Was stehst du da rum, Harry.«
»Ich wollte dich nicht stören.«
Bosch ging zu ihm hinüber.
»Was, beim Tagesreport stören? Du machst Witze.«
»Ich dachte, vielleicht ist es etwas Wichtiges.«
»Es ist wichtig für meine Gehaltsabrechnung. Sonst nicht.«
Bosch zog einen Stuhl von einem leeren Schreibtisch herüber und setzte sich. Er stellte fest, daß die Statue des Infanten von Prag verschoben worden war, genauer gesagt, umgedreht. Sein Gesicht schaute nicht mehr auf die Blößen der Schauspielerin auf dem Pornokalender. Bosch sah Mora an und wußte nicht, wie er die Sache angehen sollte.
»Du hast gestern eine Nachricht hinterlassen.«
»Ja, ich habe nachgedacht …«
»Worüber?«
»Nun, wir wissen, daß Church Maggie Cum Loudly nicht umgebracht hat – wegen des Zeitpunkts. Er war schon tot, als sie mit ihrem Arsch im Beton landete.«
»Das stimmt.«
»Also haben wir es mit einem Nachahmungstäter zu tun.«
»Stimmt auch.«
»Also hab’ ich mich gefragt: was wäre, wenn er schon früher angefangen hat?«
Bosch fühlte, wie sich seine Kehle zuschnürte. Er bemühte sich, sich nichts anmerken zu lassend und machte ein Pokergesicht.
»Früher?«
»Ja. Was wäre, wenn er auch die zwei anderen Pornobräute umgebracht hätte? Wer sagt, daß er erst nach Churchs Tod anfing?«
Bosch bekam eine Gänsehaut. Wenn Mora der Jünger war, war er sich seiner Sache so sicher, daß er es riskieren würde, Bosch das ganze Muster zu erklären? Oder war sein inneres Gefühl – und es war nicht mehr als eine wilde Vermutung – total absurd? Egal was die Wahrheit war, es war ein unheimliches Gefühl, hier mit Mora zu sitzen. Sein Schreibtisch war bedeckt mit Magazinen, die Geschlechtsverkehr auf der Titelseite abbildeten, ein Pornokalender hing vom Aktenständer – und das tönerne Gesicht der Statue abgewandt. Bosch stellte fest, daß Delta Bush, die Schauspielerin auf dem Kalender, blond und vollbusig war. Sie paßte ins Muster. Hatte Mora deshalb den Kalender aufgehängt?
»Weißt du, Ray«, sagte er, nachdem er sich gefaßt hatte, »mir ist das auch durch den Kopf gegangen. Dann paßt alles besser zusammen mit den Beweisstücken und so … Ich meine, wenn der Nachahmungstäter alle drei umgebracht hat. Was hat dich auf die Idee gebracht?«
Mora legte den Bericht, an dem er gearbeitet hatte, in eine Schublade, lehnte sich vor und stützte die Arme auf den Schreibtisch. Unbewußt fuhr er mit der rechten Hand nach oben und zog das Medaillon mit dem Heiligen Geist aus dem offenen Kragen. Er rieb es zwischen Daumen und Zeigefinger, lehnte sich wieder in seinem Sessel zurück und legte die Ellbogen auf die Armlehnen.
Er ließ das Medaillon los und sagte: »Nun, ich habe mich an etwas erinnert. An einen Tip, den ich erhielt, kurz bevor du Church erschossen hast. Ich kümmerte mich nicht mehr darum, nachdem Church tot war.«
»Das war also vor vier Jahren.«
»Ja. Wir dachten alle, das war’s, als du Church erwischt hast.«
»Zum Thema, Ray. Woran hast du dich erinnert?«
»Ja, richtig. Nun, ein paar Tage, vielleicht eine Woche vor Churchs Tod erhielt ich einen Tip übers Telefon. Man hatte den Anruf zu mir durchgestellt, weil ich der Pornoexperte der Truppe war und eine Pornodarstellerin anrief. Sie benutzte den Namen Gallery. Das war alles, Gallery. Sie arbeitete ganz unten im Pornogeschäft: Loops, Live Shows, Peep-Shows, Telefon-Sex. Sie war auf dem Sprung nach oben, Videos mit Namensnennung und so weiter.
Na ja, sie rief die Fahndungsgruppe an und berichtete, es gäbe einen Tom, der im Valley rumkurvt und bei Dreharbeiten zuschaut. Du verstehst, er guckte beim Ficken zu und quatschte mit den Produzenten. Aber er war nicht wie die anderen Toms.«
»Ich versteh nicht, was du meinst. Toms?«
»Abkürzung für Peeping Tom, Spanner. So nennen die Mädchen die Typen, die an den Drehorten rumhängen. Meistens sind es Freunde der Produzenten oder sie finanzieren einen Teil des Budgets. Sie geben dem Produzenten einen Riesen, und er läßt sie zuschauen. Kommt ziemlich häufig vor. Diese
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